Die Freude beim Ankommen

Ich lebe heute zwei Leben – Alles was gestern war ist heute vergessen – Alles was ich vergessen habe, bin ich heute.

Das Schönste an dem Moment, an dem ich am Flughafen aus der Absperrung trat und Anita um den Hals fiel, war, dass es sich überhaupt nicht seltsam anfühlte. Im Gegenteil, es war vielmehr als sei die Zeit stehen geblieben und ich konnte einfach zu der Person zurückkehren, die ich vor 16 Monaten gewesen war. Ich hatte mein Guayaquil zurück!

Der viele Verkehr, die Hitze, der Lärm – alles was „normalen“ Besuchern, meiner Familie eingeschlossen vermutlich abscheulich vorkommen musste, formte vor meinen Augen einen Teil des Lebens, das ich so unvorstellbar liebte. Wir fuhren durch die abendlichen Straßen und es war als käme ich nach Hause. Hier und da hatten sich Kleinigkeiten verändert, wie zum Beispiel die Brücke, die letztes Jahr bei dem Erdbeben zusammengebrochen war oder das Stadion von Emelec. Aber insgesamt war alles genauso, wie ich es in Erinnerung behalten hatte. Als die ersten Häuser des Guasmo in Sicht kamen machte mein Herz einen kleinen Sprung. Endlich konnte ich meine Gastfamilie in die Arme schließen! Auch hier hatte sich nicht viel verändert. Die Straße vor meinem Haus hatte man im letzten Jahr richten lassen. Alles war schön geteert, die Bäume und Büsche rechts und links verschwunden und durch breitere Abflüsse ersetzt worden. Damian hatte Laufen gelernt und aus meinem ehemaligen Zimmer war eine Wand entfernt worden, sodass es nun fast die doppelte Größe einnahm. Wir wurden so freundlich empfangen, wie man im Guasmo immer empfangen wird. Mein Gastvater kaufte Bier und wir tauschten uns über all das aus, was sich in letzter Zeit verändert hatte. Um halb neun fuhren wir noch einmal los, um meine Mutter vom Flughafen abzuholen. Als wir dann endlich alle angekommen waren, war ich sehr müde. Aber natürlich musste ich auch Daniels Familie noch begrüßen. Ana und Isaac waren in den letzten Monaten beide ausgezogen, was mir das Haus, das normalerweise voller Menschen war seltsam leer erscheinen ließ.

In den nächsten Tagen zeigte ich meiner Schwester und meiner Mama diejenigen Orte, die man normalerweise in Guayaquil besichtigt. Den Malechon, die Bahía, las Peñas, die Isla Santay, den Friedhof… Am meisten gefiel mir aber, sie mit dem Guasmo vertraut zu machen, meine Freunde vorzustellen, die Musikschule zu besuchen. Am Dienstagabend lud meine Mama Daniels Familie zum Essen ein. Wir fuhren in die Mall de Sur. Bis alle endlich etwas zu Essen auf dem Teller hatten verging eine halbe Ewigkeit, zuerst weil alle unentschlossen darüber waren, was sie essen wollten, dann weil die Zubereitung andauerte. Dennoch war es ein sehr schöner Abend. Daniel und ich sind immer der Meinung, dass unsere Familien sich sehr ähneln, obwohl wir aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen stammen. Das einzige Problem bleibt die Verständigung und noch viel schlimmer die Distanz. Ich wäre gerne länger mit meiner Familie im Guasmo geblieben, aber natürlich hatten wir noch einen weiten Weg vor uns. Ich bin immer wieder überrascht darüber, wie zwanzig Stunden Reise um die halbe Welt alles ändern können – Den Blick auf das Leben, das eigene Selbstverständnis, den Umgang mit anderen Menschen. Nach Guayaquil zu kommen wird für mich immer ein bisschen wie nach Hause kommen bleiben.

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