Zwischen Schwimmbad, Abschied und sozialem Essen

Der 8. August war der Samstag nach unserem Jubiläumskonzert. Manche Jungs feierten in ebendieser Nacht auf den Samstag bis um neun Uhr abends. Und wenn man in Ecuador bis in die Morgenstunden hineinfeiert ist es ein Muss, Encebollado Essen zu gehen. Das ist eine Art Fischsuppe, mit Limone, Yuka, Verde, Zwiebel Ect. Und zählt zu den besten Frühstücken, die es geben kann.
Aber davon soll hier eigentlich nicht die Rede sein. Über einen Kontakt von Maggi und John waren wir nämlich an diesem Samstag zur Garza Roja eingeladen. Das ist eine Art Poolparadies, mit Swimmingpools, Rutschen, schön angelegten Pflanzen, einem Fußballplatz und einem Museum. Um halb zehn morgens quälten wir uns also aus dem Bett und die, die nicht ins Bett gegangen waren rafften sich ebenfalls auf, um zur Garza Roja zu fahren, was wohlgemerkt im Auto etwa eineinhalb Stunden Fahrtzeit vom Guasmo entfernt ist. Zum Glück nahm Marcos Ana, John Sarah, Daniel und mich im Auto mit, während die anderen sich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln abzukämpfen hatten. Wir waren dann auch als erstes da. Ich hatte keine Badesachen mitgenommen, weil ich immer noch ziemlich erkältet war und eigentlich nicht vorhatte Baden zu gehen, aber als wir ankamen sah die Anlage so schön aus, dass ich mich einfach in einem T-Shirt von Daniel badete. Etwas später kamen dann auch die anderen und uns wurde Essen und Trinken serviert. Dann, als die anderen sich alle zum Baden fertigmachten, gingen Daniel und ich das Museum erkunden. Das war ganz neu und noch gar nicht eröffnet. Wir durften aber trotzdem hinein und alles anschauen.IMG_2944 Es war ein etwas seltsam zusammengewürfeltes Museum aber es war sehr hübsch. Es bestand aus drei Stockwerken, durch die sich eine Holzskulptur in Form eines Baumes zog, in dessen Stamm Szenen der Geschichte Ecuadors geschnitzt waren. Vom obersten Stock aus konnte man die anderen im Schwimmbad umhersahen sehen. Sie waren gerade dabei die Rutsche herauf und herunterzurutschen. Außerhalb der Anlage lag ein See und dahinter grüne Wiesen.IMG_2816
Wir bekamen Lust zurück zu den anderen zu gehen und wir gesellten uns noch eine Weile zu ihnen. Mit Ecuadorianern ins Schwimmbad gehen entspricht in etwa mit einer Horde Kinder ins Schwimmbad zu gehen. Es wird gerutscht, im Wasser Pyramiden gebaut, auf den Schultern gegeneinander gekämpft und noch so mach anderes. Aber das wirklich schöne an diesem Nachmittag war, dass wir alle zusammen einmal außerhalb der Stadt Spaß haben konnten.
Am späten Nachmittag kehrten wir ziemlich müde nach Guayaquil zurück. Aber es blieb nicht viel Zeit zum Ausruhen, denn Samuel sollte schon am nächsten Morgen nach Deutschland zurückfliegen und wollte noch einmal alle zu einem kleinen Abschiedsfest versammeln. Wir trafen uns also im Biliard, tranken etwas und tanzten etwas und machten, was man eben an diesen Abschiedsabenden so macht. Ich freute mich, da ich das erste Mal seit sehr langem die Möglichkeit hatte mit Rafael zu reden und ihn zusammen mit Samuel zu sehen, versetzte mich in eine scheinbar ziemlich lang vergangene Zeit zurück. Als ich um drei Uhr morgens nach Hause kam, war meine Gastmutter gerade dabei aufzustehen. Das hatte folgenden Bewandtnis:
Ein Nachbarsjunge, der vor einiger Zeit auch mal Mitglied in Clave de Sur war, hätte man beim Autodiebstahl erwischt und ins Gefängnis gesteckt. Für seine Freilassung war eine Kaution gefordert worden, die natürlich nicht auf Anhieb bezahlt werden konnte. Und die schlauen Ecuadorianer haben natürlich für allerlei Notfälle dieser Art eine Lösung parat. In diesem Fall hatte die Nachbarschaft ein ’soziales Essen‘ organisiert und meine Gastmutter sollte Encebollado kochen. Schon im Voraus waren dafür Tickets verkauft worden und die ersten Kunden wollten schon um sechs Uhr morgens ihr Essen abholen. Also hieß es früh aufstehen und kochen.
Das Gute an der Sache: Als ich um 11 Uhr morgens Aufstand war das Frühstück schon fertig.
Um drei wollten wir Samuel zum Flughafen begleiten, aber da eine ganze Gruppe zu seinem Abschied aufbrach, reichte das Auto nicht aus. Ein Teil der Gruppe fuhr also mit der Metro und wurde Zeuge eines schrecklichen Unfalls. Manchmal ist der Verkehr in Guayaquil etwas hektisch. Camionetas, Busse, die Metrovia und Autos kreuzen sich ständig und die meiste Zeit gilt die ungeschriebene Regel: Wer hupt hat Vorfahrt. An diesem Tag und es wird darum gestritten, wer die Schuld daran trug geriet ein Motorrad in den Weg der Metrovía die neben uns fuhr. Anscheinend hatte die Metro in der wir uns befanden die Sicht versperrt und der Fahrer hatte das Motorrad erst in letzter Minute gesehen. Wir wussten zuerst nicht was geschehen war und wunderten uns, weshalb die Metro nicht weiterfuhr. Der Fahrer des Motorrads wurde verletzt aber das Mädchen, das als Beifahrerin hinten auf dem Motorrad saß wurde leider von der Metro regelrecht überrollt und war sofort tot. Als unser Bus an der Unfallstelle vorbeifuhr konnten wir sehen, wie die Polizei gerade eine Decke über die Leiche legte. Wir waren alle ziemlich geschockt und in meinem Kopf sehe ich noch an diesem Tag genau das Bild des Mädchens vor mir. Ich sehe jede Einzelheit, die nackten, etwas schief gedrehten Füße, die die Schuhe verloren hatten. Den auf den Bauch gedrehten Körper, das lange schwarze Haar und den Motorradhelm, der etwas entfernt auf dem Boden lag. Manche Dinge vergisst man nicht.
Dann auf dem Flughafen stellten wir uns alle in einen Kreis und jeder sagte Samuel zum Abschied einige Worte. Es fühlte sich seltsam an, dass ich wieder dort war und wieder Samuel verabschiedete. Es war als wäre Januar erst gestern gewesen. Ich fühlte mich ziemlich mies, als wäre auch mein Abschied nun sehr nahe. Am Abend ging ich mit zu Daniel. Wir legten uns ins Bett und umarmten uns, beide dieses ganze verrückte Wochenende im Kopf. Das Jubiläum, das Schwimmbad, Samuel und das tote Mädchen und ich wünschte mir eine Ewigkeit, nur um so dazuliegen, ganz klein und beschützt vor der Welt.

 

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