Keiner kann sich vorstellen wie es ist, nach einem Jahr die Koffer zu packen. Es ist, als würde man sein ganzes Leben in eine Box stecken. Und plötzlich siehst du alles vor dir, was du in diesem Jahr getan hast. Du siehst all die lieben Menschen, die dir nun so viel bedeuten und du kannst einfach nicht begreifen, dass du sie nicht mehr jeden Tag sehen wirst. Clave de Sur ist für mich wie eine Familie. Ein Ort, der immer erreichbar war, der immer getröstet hat, der einen mit so viel Wärme umgab. Ich werde niemals diesen letzten Tag vergessen, den ich in Ecuador verbrachte. An diesem Tag lernte ich, wie weh es tut, sich zu verabschieden!
Ich wachte am Morgen ganz früh neben Daniel auf. Wir hatten die letzte Nacht auf dem Fußboden geschlafen und wussten selbst nicht warum. Mir war den ganzen Tag schlecht. Vielleicht war das eine Abwehrreaktion meines Körpers, der sich einfach weigern wollte, die Tatsache hinzunehmen, dass dies mein allerletzter Tag im Guasmo sein würde. Gegen halb drei Uhr nachmittags fuhren wir los in Richtung Flughafen. Daniel und ich saßen auf der Rückbank des Taxis und weinten praktisch den ganzen Weg vom Guasmo zum Flughafen.
Da spürte ich plötzlich, wie sehr ich diesen Ort liebte und wie ungern ich ihn verließ. Der Guasmo war jetzt mein zu Hause. Ich hatte mich daran gewöhnt, ich hatte gekämpft, um in Ecuador bleiben zu können, aber nun war auch der letzte Rest meiner Zeit hier abgelaufen.
Ich hatte an all meine Freunde Fotos und Abschiedsbriefe verteilt. An meinem Abschiedsfest habe ich gesagt: „Ich gehe zwar nach Deutschland, aber mein ganzes Herz bleibt hier.“
Aber erst, als ich meine Freunde das letzte Mal umarmte, wusste ich wirklich, was ich damit gemeint hatte. Ich hielt sie einfach ganz fest, Daniel, Ana, John, meinen Bruder, Marcos und Lalo,… Und in diesem Augenblick machte ich Daniel ein Versprechen, weil ich wusste, dass ich mich nie einfach so verabschieden konnte. Ich sagte: „ich werde zu dir zurückkommen.“, und an dieses Versprechen denke ich, seit ich an jenem Tag ins Flugzeug gestiegen bin.
Das Schlimmste an dem „Wieder nach Hause“ kommen, war, wie fremd ich mich in meinem eigenen Land fühlte. Meine Eltern hatte Freunde von mir zu uns eingeladen, aber obwohl ich mich wahnsinnig freute sie zu sehen, blieb ich ihnen völlig fremd. Ich wollte so sehr, dass sie wussten, dass ich sie vermisst hatte,.. Dass ich mich wirklich freute sie zu sehen, aber ich konnte es einfach nicht zeigen. Ich fühlte mich so leer.
Seit ich Ecuador verlassen habe, bin ich kein kompletter Mensch mehr. Ein Teil von mir ist in Ecuador und lebt in den Erinnerungen. Und dieser Teil möchte jeden Tag schreien, so weh tut es, nicht die Menschen, die ich so sehr liebe in meinen Armen zu halten.
Aber dann ist da auch noch der andere Teil. Dieser Teil möchte sich unbedingt wieder in Deutschland einleben., möchte das Studium gut machen und möchte vorallem endlich wieder richtig bei seinen deutschen Freunden ankommen.
Genau deshalb also kann ich gar nichts machen. Weil ich zwischen zwei Welten lebe und mich weder von der einen entfernen, noch in der anderen ankommen kann. Ich kenne mich selber nicht mehr und weiß nicht, wer ich bin, oder sein will.
Trotzdem bereue ich mein Jahr in Ecuador nicht. Ich bin ein Mensch der Extreme. Ich mag es, Dinge „absolut“ zu tun. Ich sehe das so: Ich hatte das Privileg, ein Jahr ins Ausland zu gehen und dort auch wirklich Teil zu haben. Ich mein, ich weiß, dass ich nicht einfach „nur“ Freiwillige dort war, sondern Teil der Gemeinschaft. Hätte ich mich nicht darauf eingelassen ein Teil davon zu sein, wäre ich nie in der Situation, in der ich jetzt bin. Aber ich hätte auch nie all das Erlebt, was ich erlebt habe.
Darum möchte ich mich bei meinen ecuadorianischen Freunden bedanken. Ich möchte, dass sie wissen, wie stolz ich bin, Teil Clave de Surs gewesen zu sein und wie sehr das mein Leben geändert hat.