Am Mittwoch Abend trafen wir uns alle, da es der letzte Abend von Franziska war. Sie wollte am Donnerstag Nachmittag fahren. Es wurde ein ausgedehnter Abend, der sich bis zwei Uhr morgens in die Länge zog. Mit von der Partie waren etliche Flaschen Cerveza, die das Objekt der Zusammenkunft, also Franziska, großzügig spendierte. Es wurde viel geredet und gelacht und irgendwann, wurde die Idee aufgebracht, die Deutschen sollten doch Salsa und Batchata tanzen. Ich bekam also eine nächtliche Tanzstunde auf der Straße, in der ich hoffnungslos versuchte meine Hüften zu schwingen. Dann, um zwei vor meiner Haustüre…- solange klopfend, bis meine Gastmutter sich endlich aus dem Bett gequält hatte. Zum Glück machte sie mir aber keinerlei Vorwürfe und ich fiel von Tanz und Cerveza ziemlich ermüdet sofort ins Bett.
Der Donnerstag verging mit vielen Geigenschülern, doch der Freitag läutete bereits das Wochenende ein. Für diesen Tag hatte meine Gastmutter mitgeholfen, ein Bingo zu organisieren, da einer in der Nachbarschaft scheinbar krank geworden war und ins Krankenhaus musste. Die ecuadorianische Krankenversicherung heißt in diesem Fall: Bingo spielen!
Pro Bingobogen (ein Bogen beinhaltet ca. 4 Spiele) bezahlt man 2 Dollar und der gesamte Erlös kommt dem Kranken zu Gute. Mittags zieht dann die ganze Nachbarschaft mit Gartenstühlen los, lässt sich irgendwo mitten auf der Straße
nieder und harrt der von einem Mikrofon aus, ausgerufenen Nummern. Ich amüsierte mich einerseits sehr über diese Art des Spendensammelns, wenn ich zusah, wie sogar unter den Jugendlichen fleißig Ziffern markiert wurden, andererseits bewundere ich auch, wie viel Vertrauen die Ecuadorianer in ihre Gemeinschaft setzen. Ist es nicht eine wunderschöne Geste, dass die ganze Straße zusammenkommt und gemeinsam etwas organisiert, wenn ein Mensch krank wird?
Da wurde mir schlagartig wieder bewusst, wie anders die Mentalität in dem Land ist, in dem ich gerade lebe. Das fiel mir an dem selben Morgen schon einmal ins Auge, als ich ein längeres Gespräch mit dem Schwiegervater meiner Gastmutter führte. Alles begann damit, dass am Morgen jemand wie verrückt an die Türe klopfte. Ich war alleine zu Haus, öffnete also erst nach kurzem Zögern. Draußen stand ein Mann, der mir in sehr schnellem Spanisch zu verstehen gab, dass er den Anschluss für das Licht abmontieren würde, weil meine Gastmutter nicht dafür bezahlt habe. Ich war natürlich ziemlich überfordert mit dieser Situation, aber da tauchte zum Glück eben jener Schwiegervater auf, dem einige Zeit später auch meine Gastmutter folgte.
Wir kamen so also ins Gespräch und mir wurde in einer wortwörtlich stundenlangen Unterhaltung, die Situation und Lebensgeschichte dieses Mannes dargelegt. Er hatte lange Zeit auf einer Bananenplantage gearbeitet und zur selben Zeit als Zweitjob Eisenbahnschienen verlegt. Als es auf der Plantage nicht mehr so gut lief, kam er nach Guayaquil. Seither lebt er (um die 25 Jahre schon) im Guasmo. Dort hat sich nun vieles verändert, meinte er. Der ehemalige Präsident Ecuadors war anscheinend ziemlich korrupt und kümmerte sich kaum um die Lage im Guasmo. Es war überaus schmutzig, die Häuser nur aus Zuckerrohr und an jeder Ecke wurde man überfallen. Mit dem neuen Präsidenten kam auch die neue Währung und so manche Veränderung.
Trotzdem klingt Zufriedenheit anders. Von seinen Kindern sind ihm drei im Säuglingsater gestorben, das Motorrad kann er nicht bezahlen, weil er momentan keine Arbeit findet und ihm, wie er sagt keiner hilft. Er sucht nun nach einem Job ziemlich weit außerhalb, ist daher aber von seinen Enkelkindern und seiner Familie getrennt.
Er erzählte mir, von den vielen Frauen, deren Herzen er erobert hat, von der Zeit auf der Finka, der Dorfgemeinschaft, dem Essen, den goldenen Jahren seiner Jugend und davon, dass ihn nun seine Kräfte verlassen.