Wenn man in der Früh aufwacht und Vogelgezwitscher hört, statt die Ohren von Songs wie „Taki Taki“ oder Reggeaton vollgedröhnt zu bekommen, weiß man, dass man nicht mehr im Guasmo ist… Mittlerweile bin ich seit etwas mehr als einer Woche wieder zurück in Deutschland. Es ist immer noch ein wenig ungewohnt: Plötzlich sprechen alle Deutsch! Es ist so leise! Das Klopapier wirft man direkt ins Klo! Allerdings holt einen die Routine schon sehr schnell ein und alles ist wieder wie vorher. Nur, dass ich jetzt auf einen achtmonatigen Erfahrungsschatz aus Ecuador zurückgreifen kann…
Nach dem Ende meiner letzten Reise und der Ankunft in Guayaquil am 7. Juni steht nicht mehr viel anderes auf dem Programm als Packen, Souvenirkaufen und sich Verabschieden. Einmal fahre ich mit Freunden noch zur Isla Santay und finde damit immerhin nach acht Monaten einen schönen Ort in Guayaquil… Die Insel liegt mitten im Rio Guayas, der an Guayaquil vorbeifließt, und ist durch eine Brücke mit der Stadt verbunden. Die Natur ist beeindruckend: Im Halbdschungel sieht man kleine Leguane, viele Vögel und sogar Krokodile – fast fühlt man sich wie auf Galápagos. Wir besuchen auf meiner „Abschiedstour“ auch noch den parque de las iguanas – einen Park, in dem es erstaunlich viele Leguane und kleine Schildkröten gibt; und eine Kathedrale, welche die vielen Brände in der Geschichte Guayaquils überstanden hat. Ich stelle fest: Sogar in Guayaquil gibt es schöne Plätze, man muss nur wissen wo.
In meinen letzten Tagen geht das Verabschieden dann wirklich los. Leslie, eine Geigenschülerin, kommt mit Mutter und Schwester extra eine Stunde lang mit dem Bus hergefahren, um sich von mir zu verabschieden. Außerdem bringt sie noch ihrer Geige mit, die ich mir ein letztes Mal anschaue, neue Saiten aufziehe und stimme. Ich jogge ein letztes Mal um den Park Stella Maris, wo ich den einbeinigen Ordner anspreche, der mir jeden Morgen zugenickt hat. In der tienda nahe der Musikschule esse ich meine letzte guineo empastado (Schokobanane). Und ich verabschiede mich natürlich von den Leuten in der Musikschule: Paúl, mein Geigenschüler und Ensembleleiter; Gary, der uns Spanischstunden gegeben hat; Allan und Juleisy, die in der Salsaband gespielt haben; und natürlich die beiden Freiwilligen, die noch im Guasmo sind, Jenny und Sarah.
Für meine Familie koche ich einen Tag vor meinem Flug ein typisch deutsches Gericht: Bratkartoffeln. Es schmeckt allen außer meiner abuela, die es nicht mag, weil kein Reis dabei ist. Am Tag darauf müssen wir uns verabschieden – wir umarmen uns alle und bedanken uns gegenseitig für die schöne Zeit. ¿Cuándo vuelves?, fragen sie mich, wann kommst du zurück? Mal sehen… Mein Gastbruder Leonardo bringt mich zum Flughafen, wo ich gerade so mein zu schweres Gepäck durchbringe – und dann verlasse ich nach acht Monaten Ecuador.
Nach diesen acht Monaten weiß ich eines ganz sicher: Ich bereue nichts. Die vielen Erfahrungen, die ich gemacht habe, im Guten wie im Schlechten, haben mich als Menschen weitergebracht und geformt. Von zuhause wegzugehen, ins Ungewisse, in eine neue Kultur, wo man oft vielleicht auch auf sich alleine gestellt ist – das braucht durchaus auch Mut. Und dieser Mut hat sich ausgezahlt. In Ecuador habe ich nun eine zweite Familie, die ich bestimmt immer mal wieder besuchen werde. Ich habe ein neues Land von allen Seiten kennengelernt. Und ich habe junge Menschen dabei unterstützen können, die Musik zu einem Teil ihres Lebens zu machen.
Besonders wichtig war mir bei der Auswahl des Freiwilligendienstes gewesen, dass ich etwas Sinnvolles mache. Ich wollte anderen Menschen da helfen, wo es etwas bringt – und ich habe jetzt nach diesen acht Monaten das Gefühl, dass mir dies gelungen ist. Im Guasmo sind die Möglichkeiten sehr begrenzt, es gibt kaum Chancen, etwas aus seinem Leben zu machen. Die Musikschule ist da eine Art Oase, die nicht nur für Ablenkung und Zerstreuung vom täglichen Leben sorgt, sondern auch für eine persönliche Weiterentwicklung der Kinder und Jugendlichen. Und nicht zuletzt entsteht durch das Musizieren eine Community: Man trifft sich auch außerhalb des Unterrichts, feiert zusammen, fährt auf Integrationsreise.
Ein Beispiel, das mich besonders positiv über meine Freiwilligenarbeit stimmt, ist die Geschichte von Paúl. Er lebt nicht im Guasmo, sondern im Zentrum Guayaquils. Seit er klein war, wollte er unbedingt Geige lernen – doch seine Eltern hatten nicht genug Geld, um ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Irgendwann erfuhr er durch Zufall, dass das Konservatorium ein Musikprogramm habe, in dem junge Menschen gefördert würden. Also fuhr er mit seinem Vater dorthin – nur um festzustellen, dass er ein Jahr zu alt war, um in das Programm aufgenommen zu werden. Wieder ein paar Jahre später lernte er Leute kennen, die ihm von Clave de Sur erzählten – einer Musikschule, bei der man sehr günstig Unterricht bekommen könne. Paúl schaute sich die Schule an – und sie wurde zu so etwas wie einem zweiten Zuhause für ihn. Seit mittlerweile vier Jahren kommt er immer, wenn er Zeit hat, den langen Weg mit dem Bus – je nach Verkehr eine bis anderthalb Stunden Fahrt – in den Guasmo, um Geige zu üben, Unterricht zu nehmen oder selber ein Ensemble zu leiten. Als Lehrer gibt es nichts Schöneres, so einen motivierten Schüler wie Paúl zu unterrichten. Sein Eifer zahlt sich auch für ihn selbst aus: Für die verhältnismäßig kurze Zeit, in der er Geigenunterricht hatte, spielt er erstaunlich gut. Deshalb hat er es auch ins Jugendsinfonieorchester Guayaquils geschafft, wo ich bei einer Aufführung zugeschaut habe. Natürlich hat nicht jeder so viel Talent und Fleiß wie Paúl, der sogar eine längere Studiendauer in Kauf nimmt, um Zeit für die Geige zu haben, aber ich hatte das Gefühl, dass alle meine Schüler Spaß an dem hatten, was wir gemacht haben. Und für mich war es sehr erfüllend – wenn auch mitunter anstrengend – diese Freude an der Musik zu vermitteln.
Mit der Rückkehr nach Deutschland verschwindet die Musikschule auch nicht komplett aus meinem Leben. Mit einigen Schülern wie Jorge Andres oder Paúl und natürlich den anderen Lehrern wie Gary werde ich weiterhin Kontakt halten. Auch wir deutschen Freiwilligen waren eine tolle Gruppe – ich hoffe, möglichst viele beim Nachbereitungsseminar im September zu sehen. Dann will ich auch viel Spanisch mit ihnen reden, um es nicht zu verlernen. Als ich im Oktober nach Ecuador kam, konnte ich nicht viel mehr sagen als „hola“ und „sí, gracias“. Mittlerweile spreche ich die Sprache fließend, auch wenn ich immer noch manchmal Probleme hatte, meine ecuadorianische Mutter zu verstehen – aber José Luis meint, nicht einmal er versteht ihre recht undeutlichen Sätze immer…
Natürlich habe ich nicht nur schöne Erlebnisse gemacht. Und manchmal war es gar nicht so einfach, das Positive zu sehen – es gab Momente, an denen ich lieber woanders gewesen wäre. Schwierige Situationen mit Gastfamilien. Streits in der Musikschule. Integration, die auch Grenzen hat. Aber so ist das Leben – nicht alles funktioniert so, wie man sich das vorgestellt hat – und auch das gehört zu meinem Lernprozess dazu. Es ist nicht schön, dass man lernen muss, mit schwierigen Charakteren – die im schlechtesten Fall auch noch in einer Machtposition sind – umzugehen, aber es ist leider notwendig. Meine Devise ist es immer, sich hinterher stärker an das Gute zu erinnern. Und davon gab es in den letzten acht Monaten reichlich.
Würde mich also jemand fragen, ob ich das ganze wieder machen würde – meine Antwort wäre ein klares „ja“. Ich habe in diesen Monaten mehr gelernt als in mehreren Jahren Schule. Ich konnte mich nützlich machen und Menschen etwas näherbringen, was mir selbst sehr am Herzen liegt. Ich habe neue Bekanntschaften gemacht und Freundschaften geschlossen, ich habe meine Freundin Maïa kennengelernt. Ich habe auf meinen Reisen alle Facetten des Landes gesehen und tolle Fotos gemacht. Das Jahr in Ecuador wird in meinem Rückblick immer ein besonderes bleiben. Und die vielen Erfahrungen, die ich gemacht habe, werden mich für die Zukunft prägen.
Allen Mitlesern danke ich fürs Dabeibleiben, fürs Daumendrücken, fürs Warten auf den nächsten Bericht… Ich freue mich, dass ich euch alle durch den Blog ein bisschen an meinen Erlebnissen teilhaben lassen konnte – und wer weiß, vielleicht geht es in ein paar Jahren ja wieder auf große Tour…