Das Logbuch des Robinson Waldenburg

Ganz allein auf einer einsamen Insel in der Karibik, gestrandet und ohne Ausrüstung, Wasser und Nahrungsmitteln… Ich gebe zu, ganz so dramatisch wie die Geschichte von Robinson Crusoe war mein Besuch auf den Galápagos-Inseln nicht. Auch bin ich keine 28 Jahre dort geblieben, sondern lediglich zwölf Tage. Diese zwölf Tage waren aber angefüllt mit Erlebnissen und Entdeckungen – von denen ich hier ganz im Stil eines Logbuchs berichten werde. Zugegebenermaßen ist das ausnahmsweise kein ausgetüfteltes literarisches Stilmittel, sonder eher der Tatsache geschuldet, dass ich nur für einen kurzen Boxenstop im Guasmo bin – morgen geht es gleich wieder los auf Reisen, meine Restzeit in Ecuador will ja genutzt werden. Seit zwei Wochen bin ich nicht mehr Musiklehrer in Clave de Sur, meine Tätigkeit als voluntario dort ist zu Ende. Wirklich unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht… In den sechs Monaten hier habe ich sehr viel erlebt, schöne und weniger schöne Erfahrungen gemacht, tolle Leute kennengelernt, motivierte Schüler gehabt. Das Unterrichten war oft anstrengend, hat aber immer Spaß gemacht. Bei Abschlusskonzert war ich sehr stolz auf meine Schülerinnen und Schüler…

25. März – 4. April Letzte Vorbereitungen fürs Konzert, Ensembleproben, Dekoration. Fast jeden Abend sitzen wir in cds und schneiden, kleben und malen. Motto des Konzerts ist: Rock. Dafür wollen wir das Auditorium der Musikschule angemessen gestalten. Die Ensembleproben sind wie immer etwas chaotisch, immerhin sehe ich Fortschritte und die meisten Schüler kommen. Vorfreude aufs Konzert? Eher Anspannung.

5. April Generalprobe. Zuerst probt fast zwei Stunden lang die Band, dann sind die Schüler dran. Nicht alles gelingt, aber wir haben Vertrauen in das alte Credo „schlechte Generalprobe gleich gute Premiere“. Danach wird das Auditorium ausgestaltet und ich klettere auf eine wandhohe Leiter, um Fahnen aufzuhängen. Unterdessen werden die Papierketten, Pappgitarren und Sterne aufgehängt.

6. April Es ist soweit: Das Abschlusskonzert beginnt. Das Auditorium ist komplett voll und die insgesamt wohl an die 100 Tanz- und Musikschüler liefern eine tolle Darbietung. Zu Beginn spiele ich mit Hannah auf der Geige die ecuadorianische Nationalhymne. Viele meiner Schüler sind sehr aufgeregt, aber alle bringen ihr einstudiertes Stück gut über die Bühne. Nach dem Ende mit dem vielsagenden Lied „Hace calor“ („es ist heiß“) ist Zeit für Fotos. Ich verabschiede mich von meinen Schülern und wünsche mir, dass sie mit ihrem Instrument weitermachen werden. Auf der Afterparty meint Koordinator Marcos, im Kreis der Musikschullehrer alte persönliche Probleme mit mir wieder aufwärmen zu müssen und gibt mir damit an meinem letzten Arbeitstag nochmal ein richtig schlechtes Gefühl. Naja, was will man machen. Zumindest habe ich jetzt nichts mehr mit ihm zu tun.

7. April Aufräumen in der Musikschule und gemeinsames Chaulafan-Essen im Restaurant (Chaulafan ist Reis mit einem Mix aus allem, was die Küche gerade so da hat – Hähnchen, Schwein, Gemüse, Garnelen etc.). Packen für Galapagos.

8. April Um kurz nach eins landen wir in San Cristóbal und betreten zum ersten Mal Galápagos. Vom Flughafen aus geht es zum Hostel – schon beim ersten Spaziergang begegnen wir Seelöwen, die sich am Hafen räkeln. Erste Fotos in Puerto Baquerizo, das uns sehr gut gefällt.

9. April In der Früh geht es zum Centro de Interpretación, wo wir in einem interessanten Museum die Geschichte der Inseln erfahren – Galápagos war nicht immer das Naturparadies, das wir heute kennen. Am Strand erholen wir uns ein bisschen und schnorcheln, dann fahren wir mit einem Taxi zu La Lobería, einer Felsenküste mit unzähligen Meerechsen. Dort genießen wir den Sonnenuntergang und die Aussicht aufs Meer, bevor es zu regnen beginnt.

10. April Eine Wanderung zur Bucht Las Tijeretas ist der erste Programmpunkt des Tages. Wir sehen Fregattvögel, Eidechsen, Seelöwen, Krebse und sogar für eine Sekunde eine Wasserschildkröte auftauchen. Später fahren wir zu einer Schildkröten-Aufzuchtstation und können einige Exemplare der Galápagos-Riesenschildkröte aus nächster Nähe betrachten. Zum Abendessen gibt es zur Abwechslung mal Pizza, da uns das ständig gleiche ecuadorianische Menü (arroz con menestra) zum Hals heraushängt. Wir schauen auf die Speisekarte und merken: Wenn man will, kann man auf den Inseln sehr viel Geld ausgeben…

11. April Viel Geld ausgeben – das tun wir dann am nächsten Tag für eine Bootstour zum Felsen León Dormido („schlafender Löwe“), oder auf englisch „Kicker Rock“, wo wir schnorcheln wollen. Die Tour hält, was sie verspricht: Wir sehen einen Galápagos-Hai, Seesterne, unzählige bunte Fische, Korallen und sogar einen Rochen, der wie ein Vogel am Himmel durch das Wasser schwebt.

12. April Selbst Tage ohne große Aktivitäten sind schön auf Galápagos. Am Freitag fahren wir mit einem Motorboot nach Santa Cruz, eine andere Insel. Ich bin ein bisschen krank, und wir beschäftigen uns vor allem mit der Planung der nächsten Tage. Natur links und rechts von uns.

13. April Darwin Research Center in der Früh, wo wir Marta und Jack treffen. Marta arbeitet als Wissenschaftlerin am Institut, sie ist mit einer Cousine von Maïas Vater zur Schule gegangen. Dann besichtigen wir das Hochland von Santa Cruz, ein Taxi bringt uns zu drei verschiedenen Attraktionen. So nah wie noch nie kommen wir den Riesenschildkröten im El Chapo Tortoise Reserve. Beeindruckt wandern wir durch einen Tunnel, den die Lava nach einem Vulkanausbruch zurückgelassen hat. Und wir schauen hinab in riesige Krater, die durch Durchrüche bei der Entstehung der Insel durch Lavamassen gebildet wurden. Am Abend sitzen wir eine Weile am Hafen und sehen mehrere Rochen und einen kleinen Hai im Wasser vorbeischwimmen. Wahnsinn, wie man hier von wilden Tieren umzingelt ist.

14. April Auf dem Programm steht eigentlich Schnorcheln in den Felsenpools von Las Grietas, doch wir verbringen den Vormittag damit, ein im Taxi verlorenes Handy wiederzubekommen – erfolglos. Trost gibt es beim gemeinsamen Grillen am Abend mit Marta, Jack und zwei Bekannten – eine ist Tour-Guide in Galápagos. Der Abend vergeht schnell mit interessanten Gesprächen.

15. April Überfahrt zur Isla Isabela, der größten Insel im Archipel. Wir checken im Hotel ein und besichtigen den Ort, Puerto Villamil. Wanderweg durch Teiche und Wald – Echsen, Flamingos und Spottdrosseln begegnen uns alle paar Meter. Allerdings auch: wilde Hühner, deren domestizierte Vorfahren in die Wälder geflüchtet sind. Wunderschöne Natur.

16. April Wandertour zum Vulkan Sierra Negra bzw. dessen „Parasit“ (kleinerer Vulkan auf einem größeren) Volcan Chico. Der letzte Ausbruch war 2018, die Vulkane auf Isla Isabela sind noch aktiv. Toller Ausblick in den Krater und auf die Lavawüste.

17. April Bootstour zur Isla Tortuga, wo wir erneut schnorcheln. Wir sehen allerlei Wassertiere – und spüren sie: Maïa kommt in Berührung mit einer Qualle. Der Schmerz werde noch ein oder zwei Tage bleiben, meint unser guia. Trotzdem leihen wir uns später am Tag Fahrräder und radeln zur muro de las lágrimas – eine Mauer im Nirgendwo, die Gefangene zur Zeit von Galápagos als Strafkolonie erbauen mussten. Von einem Aussichtspunkt haben wir einen tollen Ausblick über einen Teil der Insel. Wir verschätzen uns ein wenig mit der Zeit und kommen beinahe ins Bedrängnis wegen der Dunkelheit, aber das Mondlicht lässt uns das Abenteuer gut überstehen. Die Sonne geht hier schon um kurz nach sechs Uhr Ortszeit unter.

18. April In der Früh Schnorcheln in Las Tintoreras – wir kommen einer Wasserschildkröte ganz nah. Auch sehen wir Pinguine und Blaufußtölpel – eine Vogelart mit blauen Füßen, von deren Existenz ich vor nicht einmal wusste. Am Nachmittag Rückfahrt nach Santa Cruz und erneuter Besuch bei Marta. Diesmal ist auch ihre Schwester, deren Sohn und deren Ehemann beim Abendessen dabei. Es ist wirklich sehr nett und die Pasta sehr lecker.

19. April Um sechs Uhr früh sind wir am Hafen, eine halbe Stunde später geht es mit dem Boot los Richtung San Cristóbal. Ein kleines Mädchen muss sich übergeben und ich sitze unglücklicherweise neben ihr… das Erbrochene ist rosa – hab ich vorher noch nie gesehen. Nach drei Stunden Fahrt kann ich dann endlich meine Hose wechseln… In Puerto Baquerizo frühstücken wir, dann müssen wir zum Flughafen. Die zwölf Tage sind vergangen wie nichts – mit etwas Wehmut verlassen wir den Boden von Galápagos. Mit der festen Absicht, irgendwann einmal wiederzukommen. Ein Verlangen, dass Robinson Crusoe wohl eher nicht gehabt haben dürfte…

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