Vom schwarzen Strand und dem Liebchen aus Lützelflüh

Nachdem sich der Beginn des neuen Prozesses nach hinten verschoben hat, habe ich plötzlich eine Woche mehr Freizeit. Wie heißt es so schön – unverhofft kommt oft. Getreu diesem Motto starte ich völlig ungeplant am Montagmorgen eine kurze Reise mit Vincent, einem anderen Freiwilligen aus der Musikschule. Vincent ist schon seit Januar in Ecuador und war die letzten beiden Monate reisend unterwegs. Einen besseren Mitreisenden könnte ich mir also nicht wünschen…

Wohin wir überhaupt wollen, wissen wir erst einmal noch gar nicht. Vincent hat etwas davon gesagt, dass er in Olón noch einen Zimmerschlüssel zurückgeben muss, außerdem sind die Wasserfälle in Baños und der Strand in Mompiche mögliche Ziele. Von Letzterem hat offenbar Robin sehr geschwärmt – ein anderer Freiwilliger, der vor Kurzem in Guasmo war. So kennt man hier immerhin meinen Namen…

Während der Busfahrt durch Guayaquil mit dem metrovía haben wir viel Zeit, über unser Ziel nachzudenken. Schließlich entscheiden wir uns, der Empfehlung meines Namensvetters Glauben zu schenken und Richtung Mompiche aufzubrechen. Etwa eine Stunde später steigen wir in den Reisebus nach Esmeraldas. Die Sitze sind bequem, die Temperatur ist angenehm – doch nach acht Stunden schmerzt auch der weichste Sitz. Außerdem ist es schon dunkel, und so beschließen wir, die Nacht in Esmeraldas zu verbringen. Wir checken in einem kleinen Hostel ein, das genau auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten ist: Ein Bett, Klo und Dusche – also alles, was das Herz begehrt. Wir laden dort unser Gepäck ab, dann suchen wir uns ein kleines Restaurant am Straßenrand. Dort esse ich arroz con poyo, Hühnchen mit Reis. Gesättigt kehren wir zurück ins Hostel und stellen den Wecker für den nächsten Tag auf halb sechs Uhr morgens. Vincent spielt noch ein Gutenachtlied auf der Gitarre, dann machen wir das Licht aus. Und den Ventilator auch – denn ab einem gewissen Wert müsste man für den Strom bezahlen. Da schwitzen wir lieber ein bisschen.

Am nächsten Morgen geht es früh mit einem kleineren Reisebus weiter nach Mompiche. Innerlich jubeln wir: Der Bus hat keinen Fernseher. Am Tag zuvor mussten wir unfreiwillig drei oder vier Ballerfilme anschauen, in denen kaum Dialoge, sondern fast nur Schüsse verstand. Stattdessen gibt es nun etwas ecuadorianische Musik, mit der die Zeit beschwingt vergeht. Über eine bergige Straße geht es etwa zweieinhalb Stunden immer wieder hoch und runter, dann sind wir da. Vielleicht fünfzig Meter vor uns: Das Meer.

Nun heißt es: Finde die Unterkunft. Und zwar die richtige. Das ist leichter gesagt als getan – Hostel um Hostel reiht sich aneinander, obwohl das Dorf – denn viel mehr ist Mompiche nicht – gar nicht so touristisch wirkt. Wir gehen den Strand entlang und fragen uns, wo wir einchecken sollen, da winkt uns einer der zahlreichen Fischer: Er meint, am Ufer, von dem wir kommen, sei es teurer – wir sollten geradeaus weitergehen und in dem Haus mit den roten Dächern nach „Copy“ fragen. Wir befolgen den Rat – und bereuen es nicht. El techo rojo wirkt ein bisschen wie eine Hippie-Bude, alles ist sehr provisorisch, es gibt kein fließendes Wasser. Die Aussicht aus dem hoch gelegenen Zimmer ist aber fantastisch. Wir sprechen mit Copy, dem Besitzer, der das Hostel erst kürzlich übernommen hat und momentan dabei ist, es wieder aufzubauen. Er ist Argentinier und ein echtes Original. Wir unterhalten uns kurz mit ihm, dann geht es wieder ins Dorf, um ein verspätetes Frühstück einzunehmen. Für zusammen fünf Dollar bekommen wir ein Menü mit Suppe, Hauptgericht und Saft. Übrigens in einem Restaurant, das seine Gäste mit dem Logo des Barcelona S.C. Guayaquil lockt – dem wohl beliebtesten Fußballverein Ecuadors.

Den Nachmittag verbringen wir mit verschiedensten Aktivitäten. Vincent übt sich im Jonglieren und macht Handstände, während ich alle paar Sekunden von der Slackline falle. Natürlich gehen wir auch baden, wobei ich zunächst kein hundertprozentig wohles Gefühl habe, weil ich nicht plötzlich von einem toten Fisch angespült werden will – am Strand haben wir zuvor viele Krebse, lebende Muscheln und eben Fischleichen gesehen. Aber die Sorge ist unbegründet und die hohen Wellen machen einfach Spaß. Etwas später kommt ein junges Pärchen aus den USA vorbei, das zum Surfen in Mompiche ist. Wir unterhalten uns nett, dann zeigt mir der Mann seine Slackline-Fähigkeiten und jongliert mit Vincent im Duo. Danach will ich an den Strand, um ein bisschen zu joggen – gefriere aber auf der Stelle in meinen Bewegungen: Vor mir schlängelt sich eine schwarz-gelbe Schlange durch den bewachsenen Untergrund. Da habe ich dann doch etwas zu viel Respekt und laufe lieber in die andere Richtung los. (Copy übrigens später auf Nachfrage: Giftige Schlangen? Klar, gibt es hier überall…)

 

Zum Abendessen kochen wir uns Nudeln mit einem Gemüseeintopf auf der Hostel-Küche. Ich kenne so etwas gar nicht, aber Vincent erklärt mir, dass es hier fast bei allen Unterkünften Camping-Küchen gibt, die die Gäste nutzen können. Überall erinnern einen nette Schilder, hinterher bitte auch abzuspülen… Das tun wir natürlich, und hinterher beginnen wir einen kreativen Abend auf unserem Zimmer, bei dem wir freestyle rappen und eines meiner Gedichte vertonen: Das „Liebchen aus Lützelflüh“ gibt es wohl auch bald als Song… 😉

Der nächste Tag beginnt wieder im Barcelona-Restaurant: Und zwar mit einem Gericht, von dem mir Vincent vorgeschwärmt hat. Bolón ist eine Kugel aus grünen Bananen, gefüllt mit zerflossenem Käse. Vincent jammert schon, dass es für ihn bald keine Maduros und Verdes mehr geben wird – in Deutschland werden fast nur Guineos importiert. Gestärkt von der ecuadorianischen Speise ziehen wir los zum playa negra – oder, wie Copy und die anderen Argentinier vom Hostel sagen: „plascha negra“. Und tatsächlich: Am „schwarzen Strand“ ist der Sand tiefschwarz, er fühlt sich auch ganz anders an als gewöhnlicher Sand. Wir wandern ein bisschen am Strand entlang, finden eine kleine Höhle und klettern über ein paar Felsen. Und wir schießen tolle Posen-Fotos…


Als wir wieder in Mompiche ankommen, ist die Flut deutlich angestiegen. Nur mit Mühe schaffen wir es, mehr nass als trocken am Hostel anzukommen. Vincent ist schlauer gewesen, er hat seine Badehose an… ich muss meine Kleidung erstmal zum Trocknen aufhängen. Nach diesem Abenteuer legen wir uns kurz hin – aus dem „kurz“ werden zwei Stunden. Die Meeresluft macht offenbar müde…

Zum Abendessen wollen wir uns empanadas machen, gefüllte Teigtaschen. In Mompiche haben wir dafür Fladen und Gemüse gekauft. Wir entscheiden uns dazu, den Holzofen zu benutzen statt der Pfanne – aber der Ofen spielt nicht ganz mit. Immer wieder lässt der starke Wind die Flammen erlischen, irgendwann schaffe ich es, ein bisschen Glut heraufzubeschwören. Mein T-Shirt ist mittlerweile schon völlig verraucht… Die empanadas aber sind auch halbfertig gut, und am Lagerfeuer schmeckt sowieso alles besser. Bis in die Nacht hinein machen wir mit Cajón und Gitarre Musik; gemeinsam mit zwei Argentiniern, die freiwillig bei dem Hostel arbeiten, stimmen wir einen thematischen passenden Kanon an: Olas que vienen, olas que ván – Wellen die kommen, Wellen, die gehen. Und wir feilen an der Vertonung zum Liebchen aus Lützelflüh…

Es gibt da eine junge Frau
Die ist sehr schön und auch sehr schlau
Ich dachte an sie, heute früh –
Mein Liebchen kommt aus Lützelflüh.

Das Mädchen, viele Meilen fort
Es ist das allerschönste dort.
So reit‘ ich los, hü hotte hü –
Mein Liebchen wohnt in Lützelflüh.

Ich suche dort ihr lieb‘ Gesicht
Doch‘s Mädchen, das find‘ ich nicht.
Vergebens war die Liebesmüh‘ –
Kein Liebchen mehr in Lützelflüh.

Das wird einst noch ein Welthit werden, ich sehe es schon vor mir…

Unseren letzten Tag in Mompiche beginnen wir mit einem Bad in den Wellen, um wach zu werden. Dann bereiten wir uns ein reichhaltiges Frühstück zu – in der Küche von Copy, weil der Herd in der anderen Küche nicht mehr funktioniert. In der Pfanne werden die empanadas diesmal richtig fertig, dazu wollen wir eigentlich patacones machen, aber müssen feststellen, dass unsere beiden vermeintlichen salzigen Verdes süße Guineos sind – darum gibt es stattdessen Haferbrei mit fritiierten Bananen. Mit Copy machen wir dann noch ein bisschen Musik, bevor es ans Abspülen geht.

Als Programmpunkt des Tages wollen wir ein bisschen in den Dschungel wandern. Doch schnell wird uns klar, dass es keinen Weg dorthin gibt – der Dschungel beginnt direkt hinter dem Haus. Meine Schlangenerfahrung vom Vortag lässt mich eher skeptisch auf die verwachsenen Mangrovenbäume blicken – und so beschließen wir, lieber eine Partie Tischtennis zu spielen.

Am Nachmittag ist auch schon Zusammenpacken angesagt. Wir machen noch Fotos mit Copy und Noname – auf Spanisch „el hombre sin nombre“. Er ist unser Zimmernachbar, wir haben ihn am Tag davor kennengelernt. Wie Copy ist er ein echtes Unikat: Nur zwei erkennbare Zähe, wirre Aussprache, verrücktes Aussehen. Von uns lernt er das Wort „blast“; er nennt uns „Robin Hood“ und „Vincent van Gogh“. Sollten wir einmal wieder kommen, so sagt er, ist er entweder immer noch dort – oder „in jail“. Von Copy bekommen wir in Aussicht gestellt, beim nächsten Mal umsonst bei ihm wohnen zu dürfen – offenbar haben wir einen guten Eindruck hinterlassen.

Dann wartet nochmal ein kleines Abenteuer auf uns: Da mittlerweile Flut ist, können wir nicht mehr den normalen Weg am Strand nehmen. Wir schlagen uns durchs Unterholz, kriechen unter Stacheldraht hindurch und werden von Hunden angesprungen – um schließlich endlich zu einer knirschenden Bambusbrücke zu gelangen. Gerade rechtzeitig erreichen wir den letzten Bus nach Esmeraldas. Ein eiliger Abschied von Mompiche.

Die Rückreise lässt sich mit einem Wort beschreiben: Anstrengend. Oder eher mit zwei Worten: Sehr anstrengend. Der Busfahrer scheint seinen Wagen mit einer Achterbahn zu verwechseln, wir werden ständig durchgeschüttelt. Außerdem meint er es ein bisschen zu gut mit der Klimaanlage, im T-Shirt ist es fast zu kühl. Einmal wird die Fahrt kurz für eine Polizeikontrolle unterbrochen, alle müssen raus, werden kontrolliert, dürfen wieder rein. Wir versuchen zu schlafen, sind dabei aber nicht wirklich erfolgreich. Morgens um sieben kommen wir in Guayaquil an. Nach der anstrengenden Fahrt gönnen wir uns den Luxus eines Taxis und kommen um kurz vor acht zuhause an. Dort wird erst einmal geschlafen…

Später am Tag wird noch abgerechnet: Während der Reise haben Vincent und ich uns mit dem Bezahlen abgewechselt – wer gerade etwas da hatte, übernahm die Kosten. So halten sich unsere Ausgaben fast exakt die Waage – lediglich $1,95 schulde ich Vincent summa summarum. Insgesamt haben wir zu zweit 154 Dollar und 20 Cent ausgegeben.

Das also war meine erste Reise in Ecuador. Kurz, aber schön. Wer weiß, wo es das nächste Mal hingeht…

Weiterhin gilt: Wer neu in den Verteiler aufgenommen werden möchte, bitte einfach eine kurze Mail an robin.waldenburg@gmx.de. Dann wird man bei jedem neuen Beitrag benachrichtigt.

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