Ein musikalischer Empfang

So, und plötzlich bin ich da. Vor wenigen Tagen war Guayaquil noch als „Zukunft“ in meinem Gehirn abgespeichert, nun ist alles real. Ich komme gerade von einer Art Mitarbeitertreffen aus der Musikschule, es riecht gut aus der Küche, und leicht schwitzend versuche ich, meine Gedanken zu ordnen. Denn es ist gar nicht so einfach, jetzt aus dem Stand alles in den letzten drei Tagen Erlebte in Worte zu fassen.

Alles beginnt am 18. Oktober um vier Uhr Früh in Taufkirchen, Deutschland. Der Wecker klingelt und reißt mich aus meinem kurzen Schlaf. Dann geht es mit dem Auto Richtung Flughafen, während ich eine Käsesemmel frühstücke und mir den Schlaf aus den Augen reibe. Nach Check-In, Sicherheitskontrolle und allem, was man an Flughäfen eben so macht (vor allem warten), sitze ich rechtzeitig zum Abflug im Flugzeug. Es ist 7:00 Uhr in München, die Sonne geht gerade auf.

Etwa zwei Stunden später – zwei anstrengende Stunden, weil ich die Geige zwischen den Beinen haben muss – landet die Maschine in Amsterdam. Es liegt wohl daran, dass ich so gut wie nie fliege, aber der riesige Komplex des Flughafens von Amsterdam ist für mich erst einmal total unübersichtlich. Dennoch schaffe ich es rechtzeitig zum Boarding und kann – ein Stein fällt mir vom Herzen – den Geigenkasten im Gepäckfach unterbringen. Nach kleineren, überwindbaren Hindernissen (ich sitze zum Beispiel eine Reihe zu weit hinten – ich hätte in der Schule besser aufpassen sollten, als wir die Zahlen von 1 bis 30 durchgenommen haben) geht es dann weiter – Richtung Ecuador. Mehr als dreizehn Stunden Flug erwarten mich, bevor das Flugzeug in Quito zwischenlanden wird.

An dieser Stelle füge ich einen den Lesern und Hörern der Känguru-Chroniken wohlbekannten Zeitsprung ein, weil der Flug war, wie Flüge eben so sind. Ich döse viel, schaue den Hobbit an und sehe aus dem Fenster. Irgendwann geht alles vorbei, selbst dreizehn Stunden im Flugzeug. Die nächste und letzte Etappe von Quito nach Guayaquil ist dagegen ein Kinderspiel, und zwar ein sehr kurzes. Lustig finde ich aber, dass die Economy Class in Quito aussteigen, sich einem Sicherheitscheck unterziehen und erneut boarden muss, während die Passagiere in der Business Class in ihrer Ruhe nicht gestört werden. So habe ich ein paar Schreckminuten zu durchleiden, als beim Boarden die Flughafenmitarbeiterin mit meinem Ticket in der Hand erst mehrere Anrufe tätigt, ehe ich durchgelassen werde. Letztlich geht aber alles glatt und ich lande um kurz vor 17 Uhr Ortszeit in Guayaquil.

Dort werde ich, nachdem die beiden Mitarbeiterinnen der Passkontrolle zunächst mit meinem, schon in Deutschland ausgestellten Visum überfordert zu sein scheinen („it is too long!“), schließlich von Rafael, meinem Gastbruder, abgeholt. Mit dem Taxi ging es quer durch Guayaquil – und ich werde standesgemäß von einem Konzert begrüßt. Allerdings eher kein sinfonisches Konzert, viel eher besteht es aus dem Hupen und Dröhnen verschiedenster Autos. Offenbar ist die Hupe in hier kein Achtungssignal, sondern ein viel und gerne benutztes Musikinstrument. Verbunden mit der Fahrweise des Taxifahrers, die im Vergleich zum restlichen Straßenverkehr sogar fast als defensiv zu bezeichnen ist, ist der Weg in mein neues Haus gleich das erste Erlebnis in Ecuador.

Beim Haus im Stadtteil Guasmo angekommen, werde ich von meiner neuen Familie begrüßt: Mutter Filadelfia, die Brüder José Luis, Leonardo und Rafael, Großmutter Olinda, Tante Eladia und Cousin Jairo. Das sind erstmal viele Gesichter, aber große Familien bin ich ja gewöhnt…

José Luis spricht ziemlich gut Englisch und hilft mir, mich erst einmal zurechtzufinden. Ich kann endlich mein Gepäck abstellen, duschen, und dann geht es auch schon zur Musikschule – in Clave de Sur findet das Abschlusskonzert des letzten Prozesses statt. „Prozess“ heißt hier eine Lerneinheit, die immer über mehrere Monate läuft und mit einem Konzert endet. In der Musikschule lerne ich die anderen Freiwilligen kennen und erhalte nun tatsächlich ein Begrüßungskonzert, das über Autohupen hinausgeht. Nach zwei schönen Stunden wollen die anderen Freiwilligen und lokalen Lehrer noch etwas trinken gehen, doch ich bitte Rafael, mich erst noch nach Hause zu bringen. Es ist zwar erst neun Uhr in Guayaquil – aber meine innere Uhr geht noch nach deutscher Zeit: Fünf Uhr nachts. Ich habe seit 24 Stunden nicht richtig geschlafen und falle deswegen todmüde ins Bett.

Der nächste Tag, viernes, ist ganz dem Ankommen, Ausschlafen und Einleben gewidmet. Rafael geht mit mir Schlappen kaufen; mit ihm und Jairo fahre ich in die Stadt, um Geld abzuheben; ich habe ein kurzes Gespräch mit Marcos, einem Koordinator an der Musikschule. Er spricht zum Glück etwas Englisch. Die Verständigung nämlich ist noch nicht ganz einfach – José Luis ist am Donnerstagabend zu seiner Frau und seinem Kind gefahren, ich muss mich irgendwie mit meinen paar Brocken Spanisch durchschlagen. Mein treuer Begleiter: Ein kleines, deutsch-spanisches und spanisch-deutsches Wörterbuch, das ich immer in Reichweite habe.

Am Nachmittag spiele ich noch Fußball mit Rafael und zwischendrin gibt es sehr gutes Essen (meist kochen Filadelfia und Olinda, und das muy bien), doch die meiste Zeit sitze ich einfach am Tisch, streichle die Katze und mache gar nichts. Oder schaue auf den Fernseher, der hier fast den ganzen Tag über läuft. Den Plan, noch etwas für den Blog zu schreiben, verwerfe ich, und gehe stattdessen früh ins Bett.

Der Samstag ist fast noch entspannter: Ich schlafe lange, dann dusche ich kurz und es gibt patacones zum Frühstück. Am Vormittag besuche ich mit Rafael einen Freund, unterwegs pflücken wir ein paar Mangos. Außerdem lerne ich ein paar weitere Familienmitglieder (Tante und Onkel) und Freunde kennen – im „Wohnzimmer“, wie ich es mal nennen möchte (zugleich Küche, Schlafzimmer und mehr) ist immer etwas los. Nachmittags gehen wir in die Musikschule, bei der Inventur helfen und die Bühne vom Konzert abbauen. Dort findet dann auch die reunión statt, eine Lagebesprechung mit allen Mitarbeitern. Ich verstehe wenig, aber Samuel und Nesta, zwei andere Freiwillige, übersetzen für diejenigen, die noch nicht so lange da sind. Danach machen wir noch ein bisschen Musik (Pachelbel geht einfach immer) und gehen dann nach Hause. Meine Familie wohnt glücklicherweise sehr nah an der Musikschule, es sind nur fünf Minuten Fußweg. Mittlerweile ist es dunkel und nicht mehr ganz so heiß.

Jetzt ist es halb neun Uhr abends, in Deutschland (halb vier) schlafen wahrscheinlich alle tief und fest. Ich werde auch schon müde, muss ich zugeben, den Jetlag habe ich noch nicht ganz überwunden. Aber ich bin sehr optimistisch: Das Spanisch klappt immer besser, ich fühle mich in der Familie gut aufgehoben und habe große Motivation für das Unterrichten. Das startet, glaube ich, erst in einer Woche. Aber auch so bin ich gut beschäftigt…

¡Hasta pronto!

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