Meine verruuuckte Familie

„Am Wochenende fahren wir nach Guayaquil zu meiner ‚verruuuckten‘ Familie.“ Gesagt, getan. Am Freitagabend ging es also für Karina, Andrea und mich per directo (Bus, der zweimal die Stunde ohne Zwischenstopp nach Guayaquil fährt) nach Guayaquil. Dort angekommen lernte ich dann gleich einen Teil von Karinas Familie kennen. Am malecón, der Promenade Guayaquils, trafen wir Mama Betty und Karinas Schwester Grace, ihren Mann Kevin und deren drei Kinder Camilla, Emilia und Kevin (ja, er hat den gleichen Namen, wie sein Papa- das ist hier häufiger so). Damit sich Papa und Sohn Kevin nicht immer beide angesprochen fühlen, wenn jemand nach ihnen ruft, wird Sohn Kevin oft einfach nur „Junior“ genannt. So viel zu den Namen…

Gemeinsam liefen wir dann durch „las peñas“, das Künstlerviertel Guayaquils, welches an einem Hang liegt. Inzwischen war es natürlich schon dunkel, weshalb man von oben einen beeindruckenden Blick auf das Lichtermeer der Stadt hatte.


Zum Abschulss des Abends gingen wir noch (ganz typisch ecuadorianisch) Döner essen 😉


Bei Grace zu Hause angekommen, war ich dann echt hundemüde- die Kinder sind zwar sehr süß, aber mit so viel Trubel wird es irgendwann auch anstrengend. Da die Familie nur eine Drei-Zimmer-Wohnung besitzt, mussten wir ein bisschen zusammenrücken: Ich teilte mir ein Bett mit meiner Gastschwester und im selben Zimmer schliefen noch meine drei primos (Cousins und Cousinen) und Mama Betty. Erstaunlicherweise habe ich sogar ganz gut geschlafen- um halb 9 war dann aber Schluss mit der Ruhe. Beim Nachbarn lief schon laute Salsamusik und nach und nach kam der Rest der Familie in unser Zimmer, um sich auch noch in die Betten zu quetschen. Es wurde dann erst einmal (Überraschung) ein ausführliches Pläuchschen gehalten.
Als ich noch in Deutschland war und hörte, dass ich in einer relativ kleinen Familie wohnen werde, war ich erst ein bisschen enttäuscht, aber der Wunsch einer Großfamilie hat sich ja nun doch erfüllt…

Eigentlich wollten wir bereits um 10 Uhr zum Planetarium fahren, bis aber alle gefrühstückt und geduscht hatten, war es bereits 13 Uhr. Als wir dann endlich vor dem Planetarium standen, mussten wir feststellen, dass dieses geschlossen hatte. Also Planänderung: Nach einer Stunde Fahrt durch die ganze Stadt, fanden wir uns abstruser Weise in einem Shoppingcenter wieder. Mir wurde erklärt, dass hier nur die wohlhabenden Leute herkommen, zu denen meine Familie aber nicht zählt. Wir konnten dort also nichts machen außer Schaufensterbummeln und auf dem Spielplatz Rumalbern. Keine Ahnung, was das sollte- selbst meine Familie hat sich dort gelangweilt…

Bevor es wieder ins Zentrum ging, stoppten wir noch bei Karinas Bruder, der mit seiner Frau auch drei kleine Kinder hat. Also lernte ich sie auch noch kennen.
Am Abend gingen wir dann zur Guayarte (Guayaquil + Arte), wo zwischen Streetart alle möglichen Kunsthandwerke verkauft und Musik gespielt wurde.

Ich und Camilla


Auch wenn es schon 23 Uhr war, als wir wieder im Haus ankamen, haben wir noch fett zu Abend gegessen.

Da wäre ich beim Thema Essen (ich kann es mir doch nicht verkneifen):
Es gibt sehr oft Reis, das in großen Mengen und es wird mit viel Öl und Zucker gekocht. Aber trotzdem, oder gerade deswegen, ist das Essen super lecker.
Die anderen MoGs sagen, dass meine Familie relativ modern ist, was das Kochen anbelangt: Es gibt beispielsweise ungefähr einmal die Woche keinen Reis zum Mittagessen, es kommt auch mal ein vegetarisches Gericht auf den Tisch und fast immer gibt es zum Essen Salat oder Obst dazu – alles eher untypisch für Ecuador.
Zum Frühstück essen wir oft patacón (in Fett gebackene Kochbananen (verdes)) oder einfach pan (weiße Brötchen, die ein bisschen wie Milchbrötchen schmecken) mit Käse, Spiegelei und Kaffee.
Mittags gibt es, wie gesagt, fast immer Reis- Reis mit menestra (eine Linsen-Gemüse-Soße), mit Fleisch, mit Fisch, mit Kartoffelbrei, mit Kochbananen usw.
Eine witzige Vorliebe der Ecuadorianer ist, den Reis absichtlich anbrennen zu lassen- den knusprigen, angebrannten Reis (cocolón) isst man dann einfach dazu. Außerdem wird fast immer ein frischer Saft aus Papaya, Melone oder anderem leckeren Obst gemacht. Manchmal darf ich diesen machen- dann lasse ich den Zucker weg, denn sonst ist gefühlt ein halbes Kilo davon drin…
Abends gehe ich oft mit den anderen Freiwilligen eine Kleinigkeit essen- Empanadas, tortilla de Verde oder pan de yuka. Wenn ich abends zu Hause esse, gibt es meistens gar nicht viel: entweder werden die Reste vom Mittagessen oder pan gegessen. Auch das ist hier bei den meisten Familien anders.
Zwischen den Mahlzeiten wird eigentlich nichts gegessen. Wir Freiwilligen snacken aber in der Musikschule oft Obst, pan de yuka oder Eis- man muss sich ja für die schwere Arbeit belohnen!

Genug dazu…

Am nächsten Tag haben wir eigentlich gar nicht mehr viel in Guayaquil gemacht. Wir haben noch den Vater von Mama Betty besucht und sind dann am Mittag zurück nach Playas gefahren.

Wie ihr merkt, habe ich am Wochenende vor allem die Familie kennengelernt und trotzdem habe ich noch lange nicht alle getroffen! So habe ich zwar nicht wahnsinnig viel von Guayaquil gesehen, aber es war schön von der ganzen Familie gleich so nett aufgenommen zu werden und mit ihnen Zeit zu verbringen!

Warum der Artikel nun so heißt, wie er heißt: Eines der wenigen deutschen Wörter, das die Familienmitglieder sagen können, ist „verrückt“. Sie finden, dass es sie ganz gut beschreibt- und dem würde ich auch zustimmen: herrlich chaotisch, lustig und zugleich sehr herzlich.

Noch ein paar Updates…

Mein Spanisch wird langsam etwas besser und es macht mich stolz, wenn meine Gastmutter sagt: „Si, si, entiende“ (Jaja, sie versteht es schon) 🙂

Im Cacique bin ich sehr gerne: Es sind immer Leute da, mit denen man sich unterhalten kann, ich schließe mich manchmal spontan der Tanzgruppe an oder spiele mit den Kindern.
Manchmal werden wir von der Musikschulleitung zu irgendwelchen Spontanaktionen überredet: So musste ich neulich bei einer Veranstaltung im Cacique eine Tracht anziehen und damit zu Leas Geigenspiel tanzen.

Das Unterrichten macht im Großen und Ganzen echt Spaß. Bereits jetzt ist mir bewusst geworden, dass ich mit meinen SchülerInnen nicht nur auf musikalischer Ebene arbeite. Ich habe beispielsweise einen Schüler, der total unsicher ist und sich nach jedem Ton, den er singt, entschuldigt. Bei ihm würde es mich einfach freuen, wenn er nach und nach an Selbstvertrauen und -bewusstsein gewinnt.
Was leider super nervig ist: Wenn ich am Tag im Schnitt sechs Schüler habe, bin ich froh, wenn davon vier zum Unterricht erscheinen. Es ist mir bisher einfach unbegreiflich, wie man einerseits unbedingt Klavier- oder Gesangsunterricht haben möchte und andererseits nicht mal zur ersten Stunde kommt. Aber ich habe natürlich auch Schüler, die jedes Mal kommen und auch immer motiviert sind! In solchen Stunden kann ich dann richtig Energie tanken und auch selbst dazulernen.
Ich nehme nun bei Lea Bratschenunterricht. Es ist echt schön, nochmal ein neues Instrument zu lernen und außerdem sehe ich so alles auch aus Schülerperspektive. Dadurch wird mir nochmal Einiges bewusster und erleichtert mir das Unterrichten.

Mir gefällt es außerdem sehr, dass ich mich tagsüber immer sicher, auch alleine, in Playas bewegen kann. Ich gehe mittlerweile beispielsweise ab und zu am Strand joggen oder laufe auch mal alleine nach Hause. Ich habe jetzt auch endlich ein Fahrrad und muss deshalb nicht jedes Mal ein Trici nehmen, wenn ich irgendwohin möchte. Diese Freiheiten nach wie vor zu haben, schätze ich sehr!

Mittlerweile habe ich auch hier einen Alltag und es ist nicht mehr alles nur neu. Da Playas nicht so groß ist, trifft man auch außerhalb der Musikschule immer wieder Leute, die man kennt. Die Verkäufer in der tienda um die Ecke oder beim Obststand, wo ich regelmäßig einkaufe, kennen mich jetzt schon. Ich habe also immer mehr das Gefühl, hier auch zu Hause zu sein.

Bis bald und liebe Grüße aus Playas!

× Sophia

2 Gedanken zu “Meine verruuuckte Familie

  1. Gabriele Rossochowitz

    Hey Sophia,
    bei dir ist deutlich mehr Trubel als bei uns zu Hause-zumal du ja auch noch fehlst! Da kann man morgens nicht muffelig sein ?!
    Genieße weiter deine Zeit!
    Ich drück dich!

  2. So schön deinen Blog zu lesen, so unterhaltsam. Vielen Dank dafür, liebe Sophia. Ich warte schon ungeduldig auf die nächste „Folge“ deiner Erlebnisse in Playas!
    Liebe Grüße…Ruxandra.

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