You grooving – Kingston 12

(aus: Trenchtown Rock – Bob Marley)

Hallo ihr Lieben,

inzwischen ist wieder wirklich viel passiert hier in Kingston 12. Aber da ich seid ein paar Tagen krank bin, habe ich nun doch ein bisschen Zeit gefunden, um die letzten zwei Wochen Revue passieren zu lassen. Gerade liege ich gemütlich in der Hängematte auf dem Dach des Hauses. Hier oben ist jeder von uns sehr gerne, um ein bisschen Ruhe zu finden – es ist ein unglaublich schöner Platz, wenn nicht der Schönste hier im Haus. Man blickt hinab auf die Dächer der Ghettosiedlungen von Arnett Garden und Jonestown (benachbarter Ghettoteil), und ab und zu erlebt man einen wirklich schönen Sonnenuntergang hier oben! Immer mal wieder kommt ein Jamaikaner vorbei und erkundigt sich, wie es mir geht. Hier wollte mir auch jeder schon verschiedene Kräutertrunks, diverse andere Rasta-Medizin sowie Tee der  „leaves of life“ (Blätter des Lebens) einflößen…

Rasta Medizin: Ingwer, Pepper (extrem scharf), Knoblauch, Merengue-Samen und „leaves of life“

Aber zuerst möchte ich euch noch gerne meine „neue große Familie“ vorstellen mit der ich hier in Jamaika zusammen lebe. Inzwischen sind wir 5 deutsche Musiklehrer/innen – insgesamt ein wirklich cooles und lustiges Trüppchen! Wir wohnen hier in dem Haus von Tanja und Kush. Michael Brown (Kush genannt) ist unser Ansprechpartner vor Ort. Er selbst ist in Trenchtwon aufgewachsen und kennt Land und Leute. Als Musikproduzent ist er hier auch relativ bekannt und hat viele Connections, die wir nutzen können. Tanja, die deutsche Ärztin, leitet unser Projekt zusammen mit Musiker ohne Grenzen. Neben Kush wohnen noch einige andere Familienmitglieder mit im Haus. So noch sein Bruder Kevin sein Onkel Cry Cry und dessen Kinder Sascha und Suarez. Alles in allem also eine wirklich große Multi-Kulti-Family.

Unsere Großfamilie

Hintere Reihe v.l. : Leonie, Kevin, Kush, Felix, Melory (Verwandte), Tanja, Ich, David
Vordere Reihe v.l. Sasha, Keno (Schüler), Suarez, Paula
die beiden Kleinkinder sind Nachbarskinder

Nun zu den vielen vergangenen Ereignissen:

Vor zwei Wochen waren wir zu Besuch in der deutschen Botschaft in Kingston. Witzig war es schon, hier in Jamaika eine typisch deutsche Einrichtung (schon der Geruch dort erinnerte irgendwie an die Heimat) zu sehen. Der Botschafter Josef Beck hat uns morgens bei einer Tasse Kaffee empfangen und wir haben ihm unser Projekt vorgestellt. Er und seine Assistentin zeigten großes Interesse und gaben uns auch ein paar Tipps mit auf den Weg. Außerdem wurden wir prompt zum „Weihnachtssingen“ der Botschaft eingeladen.

Deutsche Botschaft in KingstonBesuch in der Botschaft

Vergangenes Wochenende haben wir hier in Arnett Garden ein Fußballturnier organisiert. Anlass war zum einen Kushs Geburtstag, zum anderen wollten wir die Veranstaltung nutzen, um Musiker ohne Grenzen und unser Projekt hier in der Umgebung noch bekannter zu machen und um die Leute zusammen zu bringen. Dies ist uns auch gelungen: Ein paar unserer Schüler und wir Lehrer sorgten für die Verpflegung und für die Musikeinlagen zwischen den Spielen. So verlief das Turnier nahezu reibungslos, und ging ohne Schlägerei oder ähnliches über die Bühne. Dies ist hier wohl wirklich nicht selbstverständlich (zumal oft Teams aus „verfeindeten Stadtteilen“ gegeneinander gespielt haben), denn uns wurde berichtet, dass das letzte Turnier hier mit 7 Schussverletzungen endete, da ein Streit ausgeartet war. So fielen wir am Sonntag alle total erschöpft in unsere Betten, aber mit dem Gedanken, schon etwas Großes erreicht zu haben.

Auch hatte ich hier schon einige Begegnungen mit dem örtlichen Freund und Helfer – der  Polizei  (wobei sie sich nicht immer als Freund erwies 🙂 ). So wurden wir einmal beim Gemüseeinkauf in Downtown von der Polizei aufgegabelt, und wir hatten natürlich alle ausgerechnet an diesem Tag keine Pässe dabei. Der Polizist dachte sofort, dass wir illegal im Land seien und verfrachtete uns in die Polizeistation. Dort mussten wir dann so lange ausharren, bis Kush und Kevin mit unseren Pässen kamen – zum Glück ging das aber nicht allzu lange.

Hier im Ghetto ist die Polizei auch sehr präsent, allerdings nicht so wie man sie aus Deutschland kennt. Hier erinnern die Polizisten eher an die amerikanischen SWAT-Teams, sprich: sie sind hier immer mit Helm, Sonnenbrille, Schussweste, Knieschützer, Schlagstock und einem großen Maschinengewehr ausgerüstet. Wie ich in meinem ersten Beitrag berichtete, scheint hier tagsüber alles recht friedlich. Doch wie sich heraus stellte, verschweigen die Jamaikaner auch gerne mal etwas, um uns nicht zu beunruhigen.Von den Bandenstrukturen selbst bekommen wir gar nichts mit, aber die Jamaikaner erzählen immer mal wieder von „Zwischenfällen“ hier in Trenchtown. Gerade gab es auch Unruhen zwischen  Angola und Simbawe (zwei weitere Ghettoteile; 5 min von uns entfernt). Genau auf der Grenze zwischen beiden Teilen steht die High School, in der wir unterrichten. Letzte Woche war nicht klar, ob die Schule schließt oder nicht. Letztendlich fand dann aber doch der Unterricht statt (was immer ein gutes Zeichen ist) und wir konnten auch wie gewohnt den Musikunterricht geben. Die Polizei hat in dieser Zeit die Schule auch abgesichert und Präsens gezeigt. So standen auf unserem Heimweg urplötzlich 15 Polizisten mit Maschinengewehren vor mir auf der Straße und kontrollierten die Leute. Die anderen nahmen das recht gelassen hin, da sie solche Situationen schon gesehen haben, aber mich hat das schon sehr bewegt und nachdenklich gemacht. Und ich fühlte mich wieder bestätigt in unserem Vorhaben, die Kids hier von der Straße und aus den Banden heraus zu holen und ihnen mit der Musik eine Alternative aufzuzeigen.

Nun will ich euch aber keine Angst machen oder Sorgen bereiten! Dadurch, dass wir direkt in die jamaikanische Familienstruktur eingebunden wurden und immer mit der Familie zusammen sind, sind wir hier sehr sicher. Dennoch gehen wir prinzipiell im Dunkeln nie alleine auf die Straße.

Paula und Cho Cho

Nun aber noch ein paar Worte zu den musikalischen Entwicklungen hier:

Vergangene Woche habe ich mit meinen Klavierschülern den Unterricht begonnen. Meine ersten drei Mädchen Ashley, Cho Cho und Akeyla (8,9 und 10 Jahre alt) sind echt süß und sehr motiviert. Inzwischen können sie schon „Ist ein Mann in den Brunnen gefallen“ und  „Hänschenklein“ spielen und nehmen jetzt einfache Weihnachtslieder wie Jingle Bells in Angriff. Immer wieder bringen sie Freundinnen mit (oft sitzen bei mir 4 Mädels im Unterricht), sodass ich immer mehr neue Schüler bekomme – genau so soll es sein! 🙂

 

Auch hatte ich  in den letzten Wochen mehrere Interessenten für den Saxophon-Unterricht: Im Culture Yard durfte so jeder der wollte das Sax mal in die Hand nehmen und versuchen ein paar Töne zu spielen. Doch wie sich schnell herausstellte, waren die meisten nur am Ausprobieren interessiert und sind dann auf ein „einfacheres“ Instrument, wie beispielsweise Blockflöte, umgestiegen. Hauptgrund war vor allem das Gewicht des Saxophons, und dass man sich schon ein bisschen (körperlich) anstrengen muss am Anfang, um die Töne heraus zu bekommen. Da die Kinder hier zum Teil noch sehr klein für ihr Alter sind, haben wir beschlossen, eher ältere Schüler im Saxophon zu unterrichten. Als ich heute nach der Arbeit im Culture Yard nach Hause kam, saßen da plötzlich 10 Kinder auf der Mauer, die Klavier und Saxophon lernen wollten. Natürlich durfte jeder ausprobieren – am Ende waren alle glücklich, und David und ich hatten wieder ein paar neue Schüler.

Auch in der High School geht es voran: Inzwischen arbeiten wir mit kleinen Musikklassen. Aus diesen Gruppen wollen wir auch einen großen Gesamtchor formen, der dann nach der Schule proben könnte. Neben kleinen Rhythmus-Übungen und einigen Theorieeinheiten wollen wir jetzt vor allem einige Weihnachtslieder einstudieren. Eventuell werden wir auch an zwei Nachmittagen in der Woche Instrumentalunterricht in den Schulräumen geben.

Mr. Grey (Drama Teacher) in Actionunsere SchuleDSC00218

So, das war es mal für heute!

Ich schicke euch allen ein paar Sonnenstrahlen in das kalte Deutschland,                                                   liebe Grüße Joza

Waa gwan

Waa gwaan? (What´s going on?) – so sagt man hier in Kingston, Jamaika!

Ich bin nun schon 10 Tage in Jamaika und lebe mich gerade ein. In der Zwischenzeit haben sich die Ereignisse überschlagen, aber alles von Anfang an:

Hinflug

Hinflug

Nachdem ich am Mittwochabend in Montego Bay ankam, sind wir am Donnerstag mit dem Bus nach Kingston gefahren, wo nun für ein halbes Jahr meine neues Zuhause sein wird. Schon allein die Busfahrt ist nichts für schwache Nerven . Es ging quer über die ganze Insel und man könnte meinen die Busfahrer werden hier nach Geschwindigkeit bezahlt –  in Deutschland hätte man mindestens doppelt so lange für die Fahrt gebraucht, und auch die schlechten Fahrbahnverhältnisse machten die Fahrt nicht angenehmer. Sehr amüsant war allerdings, wie man die Fahrgäste regelrecht stapelt (auch im Taxi fährt man generell  mindestens zu 8)  und gehupt wird natürlich immer und bei jeder Gelegenheit…

Ich wohne hier in Arnett Garden, einem Slumteil von Trenchtown. Auf den ersten Blick scheint alles sehr friedlich und nicht wirklich kriminell: Von überall her schallt Musik, die Kinder spielen genauso wie die Ziegen auf den Straßen, und sehr viele Hauswände sind bunt bemalt, meistens in den Rastafarben. Wenn man durch das Viertel läuft grüßt man jeden, man unterhält sich mit den Menschen (die Deutschen sind hier schon bekannt) und wird überall neugierig „beschaut“. Einzig allein der jamaikanische Slang, Patois genannt, bereitet mir noch Schwierigkeiten, denn manche Jamaikaner reden wirklich unglaublich schnell – andere können gar kein richtiges Englisch

Wandgemälde.Aussicht vom Dach

In dem Haus, in dem wir Deutschen mit dem jamaikanischen Musikproduzenten und seiner Familie zusammen leben,  ist immer was los. Ab 7 Uhr morgens schallt die Reggea-Musik aus den Lautsprechern, und da das Haus noch nicht fertig gestellt ist, wird man meistens auch, mehr oder weniger freiwillig, von Baulärm geweckt.  Hier ist alles ein bisschen gewöhnungsbedürftig  – das Wasser aus dem einzigen Hahn kommt in letzter Zeit sehr spärlich bis gar nicht und zum Duschen muss ich mir generell  immer Wasserkanister überkippen (sprich: es gibt nur manchmal fließendes Wasser), genauso wie die Moskitos in mir einen neuen Freund gefunden haben – aber dennoch ist es hier sonst ein wirklich in toller Ort. Nur an die ständige Hitze habe ich mich bis jetzt wirklich noch nicht gewöhnen können.

Der Trenchtown Culture Yard – früher Home of Bob Marley, heute eine Kulturstätte, ist ein wunderschöner Ort. In dem Yard steht neben einer großen Bob Marley Figur auch der Original-Tourbus, mit dem Bob früher herum getourt ist. Hier, in dem Geburtsort des Reggae, werde ich nächste Woche mit dem Musikunterricht anfangen – unglaublich! Ich war auch sehr erstaunt darüber, wie weit die Schüler der anderen Deutschen zum Teil schon sind. Da klingen doch tatsächlich schon schöne Trompeten- und Gitarrenmelodien über den Platz. Die Schüler sind dort sehr konzentriert bei der Sache und musikalisch ist hier auch fast jeder.

Letzte Woche hatten wir Musiker ohne Grenzen auch ein Treffen mit dem Direktor der Charlie Smith High School – die Lehrer dort waren sehr glücklich über unsere Angebot, auch in der Schule Musikunterricht in den Klassen zu geben, da die Schule überhaupt kein Geld hat, um Musiklehrer einzustellen. Und so geben wir jetzt auch jeden Tag in der Schule (Klasse 7-9) Musikunterricht. Vergangenen Donnerstag hatten wir unseren ersten „Schultag“ – nachdem wir uns, unsere Instrumente und die Organisation kurz vorgestellt hatten, haben wir zum Einstieg ein Chor-Projekt mit den Schülern gemacht. Es ist unglaublich, wie rhythmisch begabt hier fast alle Kinder und Jugendlichen sind. Alle waren freudig dabei, haben sich gegenseitig motiviert und lauthals mitgesungen – nur die 7er sind noch ein bisschen schüchtern. Wir haben Großes vor an der High School, neben Chor-, Rhythmus- und eventuell Theorieklassen wollen wir auch Einzelunterricht für unsere Instrumente etablieren. Mal sehen wie sich das hier alles entwickelt!

Charlie Smith Highschool

Charlie Smith Highschool

Charlie Smith Highschool

Charlie Smith Highschool

Gleich am ersten Wochende  haben wir einen Ausflug mit den Jamaikanern in die Blue Mountains gemacht – unser Ziel war es, den Peak  (höchster Berg Jamaikas) zu besteigen, dann dort zu übernachten um am nächsten Morgen einen traumhaften Sonnenaufgang und eine wundervolle Rundumsicht über Jamaika zu erleben – soweit der Plan. Die Realität sah aber leider anders aus: Nachdem wir uns bei tropischen 35°C  nach 7 Stunden auf den Peak gekämpft, und  eine richtig kalte Nacht bei Dauerregen verbracht hatten, sahen wir am Morgen schließlich gar nichts. Durch den Nebel konnte man höchstens 1m weit sehen…

Dennoch war es das erste Mal, dass ich überhaupt im Dschungel war, echte Bananenstauden an Bäumen sehen konnte, und haufenweise exotische Früchte probieren durfte!

Gestern Abend sind wir dann noch spontan mit dem Musikproduzenten in ein Studio gefahren, um bisschen was auszuprobieren. Natürlich war nichts so, wie ich es aus deutschen Studios kenne – ich sollte bei einem Reggea-Stück den Bläsersatz und ein Solo einspielen, allerdings hatte sie weder die Chords noch andere Sheets zu dem Song. Ihre Arbeitsweise: Jamaikaner  fühlen die Musik, Musiker brauchen keine Noten, geschweige denn Chords, alles passiert intuitiv – na toll und ich mitten drin. Am Ende hat dann aber doch alles wirklich super geklappt, und die anderen Produzenten waren so begeistert, dass ich wahrscheinlich noch bei anderen Songs und Alben mitwirken  kann und soll!

So, das war es erstmal aus dem sonnigen Jamaika –

Blessed                                                                                                                                                             Joza