Ein seelisches Fußball – Churute

Freitagmorgen wurde ich jäh aus den Träumen gerissen: Es schüttelte und rüttelte, ich wurde im Bett hin- und hergeschaukelt, es fühlte sich an, als würde das Bett wackeln. Wenig später gingen die Sirenen los. In meiner Schlaftrunkenheit machte mir dieses Beben von immerhin 6,2 Magnituden auf der Richterskala keine große Angst. Ich drehte mich um und pofte weiter. Ich hatte mein erstes Erdbeben erlebt.Viel passiert ist glücklicherweise nicht, so weit ich weiß, sind weder Menschen noch Gebäude zu Schaden gekommen. Die Aufregung war dennoch groß, meine Gastmutter Filadelfia rief alle Verwandten an, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Auch die Musikschule blieb am Vormittag geschlossen, wie ich nach einigem Hin- und Hertelefonieren vor den verschlossenen Eingangstüren der Musikschule, herausfand – über eine Benachrichtigung hätte ich mich auch gefreut…

Am Samstag ging’s dann mal wieder raus aus Guasmo – das muss ab und an mal sein; immerhin war ich die letzten 12 Tage nicht unterwegs. Auch wenn ich mich mit vielen Leuten hier sehr gut verstehe, kann man im Guasmo eben nicht soo viel erleben wie anderswo. Da brauche ich die Natur. Die Reiserei hat’s mir angetan – darüber ist der Geldbeutel traurig, dafür aber die Seele happy.

Für dieses Wochenende hatten wir, Bapsi, Badman, Simon und ich, uns die Reserva Ecológica Manglares de Churute ausgesucht. Hier kommen einige Wichtigtuer-Facts, zu denen auch die obligatorische Karte gehört:

  • Das Reservat stellt eines der letzten zusammenhängenden Mangroven- und Trockenurwaldgebiete der ecuadorianischen Küste dar.
  • Es ist von der Dachterasse von Clave de Sur bei guter Wetterlage sichtbar und übt deswegen einen besonders großen Reiz auf den gemeinen Freiwilligen aus.

Simon hatte im Internet die Kakao- und Mangofarm der Familie Lara in direkter Nähe zur Reserva entdeckt, die mit Kakaoführungen warb, die wir uns zunächst ansehen wollten. Um zur finca 1 der Señora Lara zu gelangen, musste man von der Busroute nach Naranjal abfahren und ca. drei Kilometer in die Wallachei stechen. Die Bewältigung dieser Strecke wollte uns ein camioneta2-Fahrer für $ 8 andrehen „En serio?!3, entgegneten wir entsetzt und wandten uns den Motorradfahrern zu, die uns das ganze für je $ 1 ermöglichten. Und lustiger war’s obendrein auch noch! Über die holprigen Pfade tuckerten wir mit ca. 40 km/h und ließen uns die Freiheit durch die Haare wehen. Badman und Bapsi fanden die Tour nicht ganz so lustig, weil sie zu zweit auf einem Gefährt samt Gepäck und Fahrer ziemlich eingequetscht saßen.

Die Farm war ein zweites Zhagal! Obschon etwas touristischer ausgelegt, lag auch dieses Landgut idyllisch an einem Gewässer, schäumte nur so über von Fruchtbarkeit und lockte Besucher mit bunten Hängematten und einer offenen Restaurant-Hütte.

Ein älterer Señor begrüßte uns und begann alsbald die Führung. Wir pflückten Kokosnüsse, fanden Achiote, das für seine rote Farbe bekannt ist und als Öl auch von meiner Gastmutter viel zum Kochen verwendet wird. Unser Guide erzählte uns, dass die indígenas ihre Faare damit färben. Die Haare färbten wir uns nicht, wohl schmückten wir uns aber mit furchteinflößenden Kriegsbemalungen.

 

Anschließend zeigte uns der Guide, wie Schokolade gemacht wird. Die aus der Frucht entnommenen Kakaobohnen werden zunächst an der Luft getrocknet.

Reife Kakaofrucht

Frische und getrocknete Kakaobohnen, halbiert

Anschließend ging’s zur Kochstelle, wo die getrockneten Bohnen in der Pfanne erhitzt wurden.

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Dann hieß es schälen – Autsch, heiß!

Danach musste echte Muskelkraft an der Kakaö-Mühle bewiesen werden.

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So entsteht eine sehr herbe, bittere Masse, das Fett kommt durch das Mahlen zum Vorschein. Weiterverarbeitet könnte man jetzt folgende Produkte herstellen: Mit Zucker versetzt und einige Stunden getrocknet könnte man eine richtige Schokoladentafel herstellen, in Milch aufgelöst kann man einen natürlichen Kakao gewinnen. Schade, dass fast alles, was hier an Kakaoprodukten produziert wird, exportiert wird. Im Laden bekommt man meist nur schlechte und übersüßte Schokolade und Kakaopulver.

Anschließend kochten wir unser königliches Mahl, bestehend aus Nudeln mit Ketch-Up – wer kann denn ahnen, dass Salsa de Tomate keine Fertig-Tomatensoße, sondern gnadenlos übersüßtes Ketch-Up ist?! – und einem Karottensalat – immerhin!, das wir sogar in der geschmackvoll eingerichteten Außenküche zubereiten durften. Glück gehabt, denn beim zweiten Hinsehen fiel mir auf, dass ich wegen des Flugs nach Ecuador keine Gas-Kartusche im Brenner gehabt hatte. Das mit dem selbst Kochen hätte sich dann etwas komplizierter gestaltet…

Zum Nachtisch brachte uns die nette Köchin sogar einige Mangos und spendierte uns etwas von ihrem Avocado-Eis – so was hat man noch nicht erlebt! Weder diesen Geschmack, noch diese Nettigkeit!

Dann bauten wir die Zelte auf, die wir direkt unter dem offenen Restaurant-Dach aufbauen sollten. Wir wollten natürlich lieber das prickelnde Abenteuer, also einen anderen Platz mit Blick auf die Churute-Berge, aber unser Guide pfiff uns zurück, es sei dort zu gefährlich, auch wenn es eigentlich heißt, die ländliche Bevölkerung sei allgemein liebenswürdiger und es würden im Vergleich zu den Städten weniger Überfälle stattfinden. Wir sollten unsere Zelte lieber unter dem Restaurant-Dach und in der Nähe des Farmhauses aufbauen. Vielleicht war es so auch besser, denn so hatten mussten wir das Außenzelt gegen den Regen nicht aufbauen und tatsächlich nieselte es in der Nacht etwas. Neben meinem 3er-Zelt hatten wir uns noch von parlante4, dessen Spitzname von seiner lauten Sprechstimme herrührt, ein Zelt geliehen. Es wurde uns als Zweier-Zelt versprochen und sah im zugegebenermaßen schlecht aufgebauten Zustand so aus:

Abends schlugen wir uns noch in Zhagal-Manier Gassenhauer und Kamellen aus dem Büchlein Stimmband, den mir meine Tante Mechtild – vielen Dank an dieser Stelle – vor Urzeiten mal geschenkt hat und der jetzt ganz groß raus kommt, um die Ohren. Wir schrubbten die Klampfe, wobei nicht irgendeine, sondern Bapsis oberfancy Reisegitarre, und sangen uns die Seele aus dem Leib  bis Badman erschöpft das Rhythmusei (aber noch nicht den Löffel) abgab, um sich in das Mülltüten-Gehänge, das sich mit dem Namen Zelt krönt, zu legen. Bapsi und meine Person spielten im Zelt (vor Mücken sicher) neben dem dösenden Simon noch ein wenig Krieg. Also das Kartenspiel…

Aus dieser Situation entstammte Bapsis Ausspruch:

Mit euch zu reisen ist wirklich ein Fußbad für die Seele.

„Was, ein Fußball für die Seele?!“ Ich rollte mich lachend auf dem Zeltboden. Da hatte ich wohl was missverstanden…


Am Sonntag wollten wir uns die Reserva genauer zeigen lassen und ließen uns gnadenlos abziehen. Das kam so:

Jairo, der Chef der Farm, bot uns nach einem Frühstück mit frisch gemachtem Kakao und von der netten Köchin geschenkten (!) Eiern, Brot und Butter an, uns in die Reserva zu fahren und uns dort an einen guía5 zu vermitteln, der uns zu einer Kanufahrt und einem Wanderweg begleiten sollte. Das ganze sollte pro Person $ 20 kosten. Schön und gut, dachten wir uns und schlugen zu.

Unser Führer Andres brachte uns mit einer camioneta in die Nähe einer Bootsstelle, wo ein Schild den Wanderweg von 300 Metern mit 30 Minuten ankündigte… Auf diesem weiten und beschwerlichen Fußmarsch sichteten wir im Mangrovensumpf seltsame Löcher. Andres erklärte uns, dass dies Behausungen von Krebsen seien und tatsächlich ließ sich einer blicken. Angeblich fangen hier Krebsjäger ihre Beute, in dem sie ihren Arm bis zur Schulter in die Löcher stecken, um die Schlawiner zu kriegen.

Anschließend setzten wir in das Flussnetz ein, das von der Pazifikküste bis zum Malecón in Guayaquil reicht. Wir witzelten, ob man den Bootsführer nicht fragen könnte, ob er uns bis in den Guasmo schippern könne. Die Bootsfahrt erinnerte mich an den Angel-Ausflug mit der Familie Campoverde; dort waren wir ja auch in einer anderen Ecke dieses Flussnetzes herumgeschippert. Daher vermutlich die Ähnlichkeit. Es war allerdings eine noch abgelegenere, unbefahrenere Stelle, alles war sehr einsam und ruhig, wir begegneten nur einem weiteren Boot.

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Zurück an Land fuhr uns der Guide zu einem Freund, der aus großen Baumstämmen Pferdeköpfe schnitzte, bei dem wir etwas unschlüssig herumstanden. Dann zeigte er uns einen Ort, an dem Pflaumen wuchsen und allmählich schienen ihm die Ideen auszugehen. Ich wurde auf der Rückbank der Pick-Ups schon hibbelig und traute mich schon nicht mehr, noch für die versprochene Wanderung nachzuhaken. Schließlich stellte sich heraus, dass unser vermeintlicher Guide eigentlich keiner war, sondern nur ein Beamter des Ministerio del ambiente 6, der zufällig im Touristenzentrum der Reserva vegetierte und Jairos Rettung auf der Suche nach einem Guide war. Jetzt hatte er einen Termin, das hieß, dass die Wanderung ins Wasser fiel. Na, schöne Bescherung.

Auf der Rückfahrt zum Touristenzentrum beschlossen wir einstimmig, dass man so nicht mit uns umspringen könne und wir reklamieren sollten. Bapsi war schließlich die Mutige, die Andres zur Rede stellte. Dieser war sogar erstaunlich kooperativ, sah auch ein, dass wir die Hälfte des Geldes wiederhaben wollten, hatte aber das Problem, dass Jairo sich mit dem Geld aus dem Staub Richtung Guayaquil gemacht hatte und über alle Berge war. Mobilnetz, um ihn anzurufen hatten wir auch nicht.

Also vertrösteten wir uns mit einer Wanderung auf eigene Faust, ließen Andres laufen und schworen uns, so bald wir Jairo erreichen konnten, ihm die Hölle heiß zu machen.

Kleiner Stimmungsdämpfer: Die ziemlich anstrengende, da sausteile Wanderung führte uns aus der Trockenurwaldzone in feuchtere Gebiete, die immerhin angenehm kühl waren. Der wenig befriedigende, da durch Vegetation die Sicht verdeckende Aussichtspunkt eignete sich wenigstens für ein Gruppenbild.

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Nach einem Bergabgalopp, von dem ich am heutigen Tag noch Waden-Muskelkater habe, ging die Stimmungmache wieder voll weiter. Ein neuer Mitarbeiter namens Jose Luis konnte eine Verbindung zu Jairo herstellen. (Dass die beiden wie meine Gastbrüder heißen, ist mir erst beim Erzählen in der Gastfamilie aufgefallen) Unter der flammenden Reklamation Bapsis wurde Jairo sofort windelweich und bot an, sich mit uns am Terminal Terrestre in Guayaquil zu treffen und uns dort das Geld zurückzugeben.

Nachdem wir noch eine Weile mit Jose Luis, der sich als ganz nett entpuppte, getratscht hatten, stellte sich heraus, dass er sich auch auf den Weg nach Guayaquil machen würde und uns mitnehmen könnte. So lernten wir Jose Luis kennen, der uns Tipps für Bars in Guayaquil gab und mit dem wir über Bettler und schließlich im Stadtverkehr Guayaquils über Kriminalismus redeten, als es plötzlich im Auto vor uns ein Handgemenge gab: Ein Junge entriss mit aller Gewalt dem Beifahrer aus dem offenen Fenster das Handy, das dieser gerade noch vor der Nase hielt. Der Junge rannte, die Tür sprang auf, der Beifahrer rannte und die Unruhe war so schnell weg, wie sie gekommen war. Wir waren blaff.

Irgendwann kippte auch die Stimmung mit Jose Luis, als klar wurde, dass er sich an Bapsi ranmachen wollte. Das war irgendwie eine komische Situation, weil alle im Wagen das voll durchschaut hatten. Auch Jose Luis.Er sprach es auch direkt an: „Ah, jetzt vertraut ihr mir nicht mehr, ne?“

Das finde ich hier generell nicht zuletzt wegen der Fremdsprache äußerst schwierig, zu wissen, wem man eigentlich vertrauen kann und wer das auch meint, was er sagt. Da zählen eben Nuancen, die ich leider noch nicht alle verstehe. Ich bin eher der Typ, der Fremden zu viel vertraut und dann zurückrudern muss. Oft ertappe ich mich auch dabei, um der neuen Bekanntschaft zu gefallen, mich sehr zu verstellen. Da muss man dann gewichten zwischen Neuem adaptieren und die persönlichen Werte wahren. Gar nicht so leicht.

Jose Luis für seinen Teil konnte uns aus einem mir unerklärlichen Grund doch nicht zu Jairo bringen, rief aber immerhin einen Kollegen an, der ihm Geld schuldete, um uns das Geld vorzustrecken. So sollte also ein „Kredit“ direkt mit einer „Schuldentilgung“ vergeben werden. Ob das wohl die ecuadorianische Ökonomie wiederspiegelt? Der „Schuldner“ war allerdings nicht da, also versprach uns Jose Luis, das Geld später vorbeizubringen. Bis zum heutigen Tag ist kein centavo 7 da, aber Bapsi ist dran und hat erst kürzlich eine neue Telefon-Offensive auf Jairo gestartet. Mal gucken, ob die fruchtet…

Als ich die Geschichte meiner Gastfamilie erzählte, meinten die nur: „Auf nimmerwiedersehen, das Geld ist weg.“

Und:

Bienvenido a Ecuador!


1. Grundstück

2. Pick-Up

3. Im Ernst?!“

4. Lautsprecher

5. Fremdenführer

6. Umweltministerium

7. Cent

Autor: Cons

Cons ist ein neunzehnjähriger Weltenbummler mit musikalischen Neigungen. Diese beiden Aspekte sieht er bei dem Verein Musiker ohne Grenzen (MoG) vereint und deshalb macht er jetzt für ein halbes Jahr einen musikalischen Freiwilligendienst in Ecuador, genauer Guayaquil. Er gibt dort in einem ärmlichen Viertel, Guasmo Sur, in der Musikschule Clave de Sur Unterricht für Klavier, Horn bzw. Trompete (da muss er sich an die Nachfrage anpassen) und Gesang.

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