Was sucht mein Cousin x-ten Grades hier? oder Fischen am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen

Natürlich war es nicht so. Natürlich bin ich nicht quietschvergnügt durch Guayaquil geschlendert und habe gedacht: „Mensch, das könnte doch Benji sein. Was macht der denn hier?!“ Erstens hätte ich meinen weit entfernten Cousin gar nicht erkannt, weil ich ihn vor Samstag noch nie gesehen hatte und zweitens wusste ich ja, dass ein weit entfernter Ast meines Stammbaums bis ins weit entfernte Ecuador ragt und dort blüht und gedeiht. Ja, in mir, in irgendeiner weit entfernten Vene fließt ecuadorianisches Blut. Daher vermutlich auch meine Kleinwüchsigkeit.

Zunächst also etwas Familiengeschichte: Die Eltern der Cousine meines Großvaters, Ingeborg Dreher, waren nach Ecuador ausgewandert. Ingeborg ist die Mutter von Werner Campoverde Sr., den ich am Wochenende kennenlernen durfte. Er und seine Frau haben drei Söhne, Werner Jr., Benjamin und Nicolas. Werner Jr. und Benjamin haben beide in Deutschland studiert und auch Werner Sr. spricht deutsch, da er als Kind auf eine deutsche Schule gegangen ist. Nicolas studiert derzeit in Ottawa, Kanada. Benjamin hat eine portugisische Frau namens Vanessa geheiratet, die er bei seinem 13-jährigen Deutschlandaufenthalt kennengelernt hat und hat die digitale Marketing-Agentur KickAds SA gegründet. Werner Jr. hat drei Jahre in Deutschland gelebt und arbeitet jetzt als Sales Manager für den amerikanischen Haushaltswaren- und Chemiekonzern Clorox, multinational. Soviel also zu den familiären Verstrickungen.

Als ich am Freitagabend, direkt nach der reunión in der Musikschule von meinen Verwandten abgeholt wurde, schwante mir schon, dass mich das etwas völlige Gegenprogramm zum Guasmo erwarten würde. Tatsächlich ging es direkt zu einem sehr noblen Hotelrestaurant, dirkekt am zentralen Parque de las Iguanas gelegen. Das ist der Park, in dem die berühmt-berüchtigten freilaufenden Leguane von Guayaquil zu besichtigen sind. Dort schlugen wir uns die Bäuche mit traditionellen Menüs und leckeren Säften voll.

V.l.n.r.: Werner Sr., Carmita, Benjamin, Vanessa, Werner Jr. und meine Wenigkeit

Nach dem Essen ging es im schmucken KIA einige Minuten aus der Innenstadt hinaus in Richtung Playas nach Hause in die urbanización, eine gated community also, oder auf gutdeutsch eine Reichenwohngegend mit bewachtem Zaun drumherum. Das Viertel kam mir durch den Zaun irgendwie unwirklich vor, wie in einer Filmkulisse. Die Reifen quietschen etwas, als wir langsam in die Einfahrt einfuhren. Wir verabschiedeten Benjamin, Vanessa und Werner Jr., verabredeten uns noch mit ersterem auf fünf Uhr fünfzehn morgens zum Fischen (hier klappte mir, hoffentlich unbemerkt, kurz die Kinnlade runter) und betraten den Tempel. Die Tür öffnete sich elektrisch und der Blick wurde frei auf ein großzügig eingerichtetes Innenleben, alles sauber und ordentlich. Das Wohnzimmer hinter sich lassend ging es durch eine Glastür hinaus auf eine Terasse, von dem man einen kleinen See mit Insel und Palmen betrachten konnte – die sozialen Unterschiede sind groß und doch so nah beieinander. Nach dem ich das herrlich große Bett mit einigen wenigen Stunden Schlaf gewürdigt hatte, ging es in der Frühe los, um Werners großem Hobby nachzugehen: Dem Fischen.

Meine Fischererfahrung begrenezte sich bis Samstag auf ein mehr schlecht als rechtes Erlebnis in Russland bei einer Chorreise, wo wir eine halbe Stunde lang erfolglos herumfischten und letztendlich von Starkregen ins Auto vertrieben wurden. Mein damaliger Gastvater meinte nur: „It’s fishing!“
Die Erwartungen auf eine Besserung lagen demnach ziemlich hoch.

Ein Freund von Werner hatte ein Boot, dessen Motor eine schnittig designte 250 aufgedruckt hatte, mit dem wir in aller Herrgottsfrühe auf dem Rio Guayas herumpesten. Die Vegetation weist dort ein fast venezianisch anmutendes Netz aus Flussarmen auf. Durch die mäandernden Seitenarme ging es mit hoher Geschwindigkeit, der starke Wind fegte noch das letzte Bisschen Müdigkeit fort, die Freiheit war perfekt.

Unser Boot „Big Louie“ in der Morgendämmerung

Ein indígena namens Sebastian wurde in einem heruntergekommenen Fischerdorf aufgegabelt, um die besten Spots zu lokalisieren. Schließlich kamen wir an – und – naja, was soll ich sagen – soo erfolgreich war ich dann auch wieder nicht. Während die anderen einen fetten Fisch nach dem anderen aus dem Wasser zogen, konnte ich bei circa 6 bis 7 Stunden Fischen nur zwei Erfolge verbuchen. Wobei der eine Fisch nicht essbar ist und sein Name u.a. auch für hässliche Frauen genutzt wird und ich auf den anderen nur aufmerksam wurde, weil mich Sebastian darauf hingewiesen hatte.

Ansonsten habe ich das entspannte Angeln allerdings sehr genossen, wir hatten auch feine Sandwiches und alle erdenklichen Softdrinks plus Bier dabei, sodass der Erholungswert perfekt war.

Gegen Abend war Benji sogar noch so nett, mich zum Busterminal zu bringen, wo Simon auf mich wartete. Wir hatten vor, den Sonntag in Olón zu verbringen, wo es ein anderes Projekt von Musiker ohne Grenzen gibt. Wir freuten uns darauf, die anderen Freiwilligen, die wir teilweise schon auf dem Vorbereitungsseminar des Vereins kennengelernt hatten, wiederzutreffen und vor allem wollten wir dem Pazifik Hallo sagen und selbigen besurfen. Drei Stunden und einen Fantasy-Film später saßen wir in dem kleinen Dorf Olón, das in der Hochsaison viele Touristen anlockt und daher viele Hostals aufzuweisen hat, unter einer Veranda.

V.l.n.r.: Hans, Maya, Lennart, Simon, meine Person

Dort trafen wir Lennart aus Hamburg und Maya aus Koblenz, beides Geiger mit dem Herz am rechten Fleck und Hans aus Halle, der mich mit seinem allerfeinsten trockenen Ossi-Humor gepaart mit dem Dialekt oft genug zum Lachen brachte. Hans spielt Schlagzeug und mag Reggae.

In dieser Gesellschaft machten wir uns dann zum Samstagabendritual nach Montañita zum Party machen auf. Die Stadt an sich schläft nicht und ist voll aufs Partyleben ausgelegt. Die Bar-Klub-Bar-Klub-Architektur bestimmt das Straßenbild. Dort erlebten wir also das ecuadorianische Nachtleben, tranken und tanzten, aber eigentlicher Höhepunkt des Abends war meiner Meinung nach die Badeaktion im Pazifik, mitten in der Nacht. Später im Bett in Lennarts Gastfamilie musste ich über den Gedanken, dass ich jetzt knapp 24 Stunden auf den Beinen war, schmunzeln. Und schwupps war ich eingeschlafen.

Durch irgendeinen späten Hahn geweckt machten wir uns am nächsten Tag auf zum Strand – Surfen!

Die Wellen waren ziemlich hoch, liefen zwar nicht soo schön rein, aber da ließe sich schon was machen, dachte ich mit meiner wenigen Wellenreiterfahrung. Board geliehen, Shirt übergezogen, wie es die Ecuadorianer zum Schutz vor der Sonne auch beim Baden machen, rausgepaddelt, die erste Welle gesichtet, angetaucht – und: Gleich gestanden!

Das war natürlich ein Glücksgefühl, von dem ich dann die nächsten Minuten lange zehren musste, denn leider muss man als Anfänger bei diesem Sport viel Wasser schlucken und sein Board herumschieben und kann die glücklichen Momente an einer Hand abzählen. Allerdings motivierte das Gefühl, im Pazifik far away from home auf einem Surfbrett mit Blick auf den Strand zu paddeln natürlich enorm.

Am Nachmittag lud uns der coordinador der Musikschule in Olón ein, mit ihm Freunde im nah gelegenen La Entrada, wenige Kilometer nördlich von Olón, zu besuchen. Dort erwarteten uns seine Freunde, ein Maler namens Darwin, seine Freundin Gabriela und der Präsident von La Entrada. Dieser präsentierte uns alsbald das Dorf, den Kai, die Kirche, ein luxuriöses Grundstück mit Swimmingpool, weißen Schimmeln, Dressurreitbahn, englischem Rasen (in Ecuador!!!) und Palmen.

So halb legal wir in das Grundstück gekommen sind, so chaotisch war auch die Lage in dem anderen Haus, in dem wir kochen konnten. Weiß der Kukuck, wem das eigentlich gehörte. Die Kocherei war dann ein ganzschönes Provisorium, da wir weder Korkenzieher, noch Schneidebretter, geschweigedenn ein zweites Messer hatten. Plötzlich schneite der Präsident herein und hatte Geburtstag. Es gab ein großes vielstimmiges Cumleaños-feliz-Gesinge und wir wurden eingeladen, in einer nahegelgenen Hütte zu tanzen und Torte zu essen. Zur Torte kam noch Reis mit Hühnchen hinzu, das beim besten Willen nicht mehr reinpasste, da wir ja schon gekocht und gegessen hatten. So kam die camionta, die wir mangels Bus auf der Ladefläche im Sprühregen besetzten, ganz gelegen, da wir so alles (auch den Reis) stehen und liegen lassen konnten.

In Olón angekommen ging es dann nach einer gediegenen Reggae-Session im Centro Cultural, der einräumigen Arbeitsstätte der Freiwilligen in Olón, endgültig ins Bett.

P.S.: Dies ist ein Parallel-Blog zu „Was macht mein Onkel hier? oder Neue Musik am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen“

Autor: Cons

Cons ist ein neunzehnjähriger Weltenbummler mit musikalischen Neigungen. Diese beiden Aspekte sieht er bei dem Verein Musiker ohne Grenzen (MoG) vereint und deshalb macht er jetzt für ein halbes Jahr einen musikalischen Freiwilligendienst in Ecuador, genauer Guayaquil. Er gibt dort in einem ärmlichen Viertel, Guasmo Sur, in der Musikschule Clave de Sur Unterricht für Klavier, Horn bzw. Trompete (da muss er sich an die Nachfrage anpassen) und Gesang.

5 Kommentare

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